Erfurt, Gericht

Erfurt: Gericht verbietet Verdi-Streik in kirchlicher Klinik

14.11.2025 - 21:43:12

Das Arbeitsgericht Erfurt untersagte Verdi-Streiks in einem evangelischen Krankenhaus und bestätigte damit das kirchliche Schlichtungsmodell. Die Entscheidung betrifft über 1,3 Millionen Beschäftigte.

Das Arbeitsgericht Erfurt hat der Gewerkschaft Verdi Streikaktionen in einem evangelischen Krankenhaus untersagt. Die am Mittwoch verkündete Entscheidung stärkt den umstrittenen „Dritten Weg” – jenes System, das in kirchlichen Einrichtungen das Streikrecht durch ein Schlichtungsmodell ersetzt. Für über 1,3 Millionen Beschäftigte in kirchlichen Sozialunternehmen bleibt die Frage nach Tarifautonomie damit höchst aktuell.

Die Richter gaben damit der Diakonie Mitteldeutschland recht, die gegen geplante Arbeitskämpfe am Sophien- und Hufeland Klinikum in Weimar geklagt hatte. Verdi kündigte umgehend Berufung an. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Kirchenautonomie schlägt Arbeitskampf

Das Gericht stützt seine Entscheidung auf die verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltung der Kirchen. Dieses Recht erlaubt es religiösen Institutionen, Arbeitsverhältnisse nach eigenen Regeln zu gestalten – abweichend von weltlichen Arbeitgebern. Der „Dritte Weg” ersetzt klassische Tarifverhandlungen durch paritätisch besetzte Kommissionen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern.

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Die Erfurter Richter befanden, dass Gewerkschaften in diesem Verfahren ausreichend eingebunden seien. Ihre Rechte würden gewahrt. Das Gericht drohte für künftige Verstöße gegen das Streikverbot Zwangsgelder an. Der Fall (Az. 5 Ca 1304/24) folgte auf mehrere Eilverfahren, die bereits 2024 und 2025 Streiks vorläufig gestoppt hatten.

Diakonie: Mehr als eine Lohnfrage

Für die Diakonie geht es ums Grundsätzliche. Vorstandschef Christoph Stolte betont, der Konflikt handle nicht nur von Gehältern, sondern vom Kern kirchlichen Arbeitsrechts. „Die Versorgung der uns anvertrauten Menschen kann nach unserem christlichen Selbstverständnis nicht ausgesetzt werden”, erklärt Stolte. Das Konsensprinzip mit verbindlicher Schiedsinstanz sei Teil der christlichen Mission.

Verdi hingegen sieht im „Dritten Weg” ein System des „kollektiven Bettelns”. Die Gewerkschaft wollte mit dem Weimarer Krankenhaus direkt verhandeln – was die Klinikleitung ablehnte, da sie nicht befugt sei, außerhalb der kirchlichen Strukturen zu agieren. Kann ein ganzer Sektor den demokratischen Tarifkampf einfach aushebeln?

Ein jahrelanger Rechtsstreit

Die Spannung zwischen Streikrecht und Kirchenautonomie schwelt seit Jahrzehnten. Das Bundesarbeitsgericht lockerte 2012 das pauschale Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen teilweise. Streiks seien erlaubt, sofern kein ordnungsgemäß strukturierter „Dritter Weg” mit Gewerkschaftsbeteiligung und verbindlichen Ergebnissen existiere.

Das Erfurter Urteil bestätigt nun, dass das Kommissionsmodell der Diakonie diese Kriterien erfülle. Für kirchliche Arbeitgeber wie Diakonie und Caritas ist der „Dritte Weg” identitätsstiftend. Sie argumentieren, das kooperative Modell verhindere Versorgungsengpässe in sensiblen Bereichen.

Gewerkschaften kontern: Die Sonderstellung führe zu niedrigeren Gehältern als im öffentlichen Dienst. Das Streikrecht sei unverzichtbar, um diese Lücke zu schließen. Verdi-Mitglieder in kirchlichen Krankenhäusern verdienen teils mehrere hundert Euro weniger im Monat als Kollegen in kommunalen Kliniken.

Berufung vorprogrammiert – Grundsatzfrage ungelöst

Die Zukunft des „Dritten Wegs” liegt nun beim Thüringer Landesarbeitsgericht, möglicherweise später erneut beim Bundesarbeitsgericht. Höhere Instanzen müssen erneut abwägen: Artikel 9 Grundgesetz (Koalitionsfreiheit, Streikrecht) gegen Artikel 140 (kirchliche Selbstbestimmung).

Die Entscheidung wird wegweisend für einen der größten Beschäftigungssektoren Deutschlands. Bleibt der „Dritte Weg” die Ausnahme vom Standard – oder erhalten auch kirchliche Angestellte das volle Arbeitskampfrecht?

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