BAG-Urteil: Sofortige Gleichbehandlung für befristete Beschäftigte
18.11.2025 - 10:51:12Das Bundesarbeitsgericht zieht einen Schlussstrich: Benachteiligende Tarifklauseln für befristet Beschäftigte müssen nicht erst nachverhandelt werden – Betroffene haben sofort Anspruch auf die besseren Konditionen ihrer Festangestellten-Kollegen. Das Urteil vom 13. November 2025 (Az. 6 AZR 131/25) stärkt die Rechte von Zeitarbeitern drastisch und setzt Arbeitgeber und Gewerkschaften unter Zugzwang.
Die Entscheidung aus Erfurt hat es in sich: Wer in Tarifverträgen zwischen Einstellungsdatum oder Vertragsstatus unterscheidet, riskiert teure Nachzahlungen – und zwar ab dem ersten Tag der Benachteiligung. Die Richter räumten den Tarifparteien keine Schonfrist ein, um diskriminierende Regelungen nachzubessern.
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Die Botschaft ist klar: Prävention statt Korrektur. Unternehmen und Gewerkschaften müssen ihre Vereinbarungen jetzt proaktiv auf diskriminierende Klauseln durchforsten.
Ein Postmitarbeiter aus Baden-Württemberg brachte den Stein ins Rollen. Sein Werdegang: Ab Juni 2019 zunächst befristet beschäftigt, ein Jahr später dann der unbefristete Vertrag. Soweit, so normal.
Doch der Haken steckte im Detail eines Haustarifvertrags. Für Beschäftigte, die nach einem bestimmten Stichtag eingestellt wurden, galten verlängerte Gruppenstufenlaufzeiten. Das bedeutete konkret: Der Kläger und seine Kollegen mit ähnlichem Einstellungsdatum mussten deutlich länger auf Gehaltssteigerungen warten als ihre Vorgänger.
Diskriminierung wegen des befristeten Vertrags? Der Postmitarbeiter klagte – und bekam vom BAG Recht. Die vorgelegten Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung überzeugten die Richter nicht. Zu schwammig, zu unzureichend.
EU-Recht schlägt Verfassungsrecht: Keine Nachbesserungsfrist
Der Sechste Senat des BAG stützte seine Entscheidung auf § 4 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG). Das Gesetz verbietet ausdrücklich, befristet Beschäftigte schlechter zu behandeln als vergleichbare Festangestellte – es sei denn, sachliche Gründe rechtfertigen dies.
Die diskriminierende Klausel? Nach § 134 BGB teilnichtig. Die Konsequenz: Der benachteiligte Arbeitnehmer wird sofort so gestellt, als hätten für ihn von Anfang an die günstigeren Regelungen gegolten. Keine Nachverhandlungen, keine Wartezeit, keine Ausreden.
Warum so drastisch? Die Richter zogen eine entscheidende Trennlinie: Diskriminierungsverbote mit EU-rechtlichem Hintergrund dienen einer Abschreckungsfunktion. Anders als bei Verstößen gegen das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot (Artikel 3 Grundgesetz) gibt es hier keine „primäre Korrekturbefugnis” der Tarifpartner.
Die unmittelbare Gleichstellung verschafft den Betroffenen nicht nur ihr Recht – sie setzt auch ein klares Signal an alle Verhandlungsführer: Diskriminierende Klauseln müssen gar nicht erst entstehen.
Branchenweite Schockwelle: Tarifverträge auf dem Prüfstand
Die Tragweite des Urteils lässt sich kaum überschätzen. Arbeitsrechtler prognostizieren eine Klagewelle von befristet und in Teilzeit Beschäftigten, die sich nun ermutigt fühlen, gegen fragwürdige Gehaltsstrukturen vorzugehen.
Für Unternehmen und Gewerkschaften bedeutet das: Sofortiger Handlungsbedarf. Jede Vereinbarung, die nach Einstellungsdatum, Vertragsstatus oder ähnlichen Kriterien differenziert, muss auf den rechtlichen Prüfstand. Gibt es wasserdichte sachliche Gründe für die Unterscheidung? Oder drohen Nachzahlungsforderungen?
Das finanzielle Risiko ist beträchtlich. Die „Anpassung nach oben” kann Unternehmen teuer zu stehen kommen – besonders bei langjährig praktizierten Staffelungen. Hinzu kommt der Imageschaden, wenn publik wird, dass man über Jahre hinweg Beschäftigte systematisch benachteiligt hat.
Parallel-Urteil verstärkt Präzedenzwirkung
Das BAG entschied am selben Tag noch einen weiteren Fall (6 AZR 132/25) nach identischer Rechtsprechung. Diese Dopplung unterstreicht: Es handelt sich nicht um eine Einzelfallentscheidung, sondern um eine gefestigte Linie des Gerichts.
Branchenverbände und Personalabteilungen dürften in den kommenden Wochen Sondersitzungen anberaumen. Die Frage lautet nicht mehr, ob man handeln muss – sondern wie schnell man potenzielle Zeitbomben in bestehenden Tarifverträgen entschärfen kann.
Was jetzt passieren muss
Unternehmen mit Haustarifverträgen oder Anwendung von Branchentarifen sollten umgehend interne Audits durchführen. Besonderes Augenmerk gilt:
- Unterschiedlichen Gehaltsstufen nach Einstellungsdatum
- Abweichenden Bonus-Regelungen für Befristete
- Gestaffelten Zusatzleistungen abhängig vom Vertragsstatus
Gewerkschaften wiederum müssen ihre Verhandlungsstrategie überdenken. Kompromisse zulasten einzelner Beschäftigtengruppen sind rechtlich hochriskant geworden. Die scheinbar pragmatische Lösung, neuere Mitarbeiter langsamer aufsteigen zu lassen, kann nun zum juristischen Bumerang werden.
Langfristig dürfte das Urteil die Arbeitsbedingungen zwischen Fest- und Zeitangestellten angleichen. Eine Entwicklung, die der wachsenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Rechnung trägt: Befristung als Beschäftigungsform darf nicht automatisch mit Benachteiligung einhergehen.
Das BAG hat einen Präzedenzfall geschaffen, der die Spielregeln grundlegend verändert. Für Deutschlands Arbeitswelt beginnt damit eine neue Ära der Gleichbehandlung – ob sie will oder nicht.
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