Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter: Was Arbeitgeber in der Probezeit beachten müssen
18.11.2025 - 10:50:12Ein wegweisendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts sorgt weiterhin für Klarheit im deutschen Arbeitsrecht – und wirft zugleich wichtige Fragen zur Praxis auf. Dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte während der Probezeit problemlos entlassen? Die Antwort ist komplexer als viele denken.
Das höchste deutsche Arbeitsgericht hat zwar bestätigt, dass ein zentrales Schutzverfahren in den ersten sechs Monaten nicht greift. Doch gleichzeitig gilt: Der Diskriminierungsschutz wirkt vom ersten Arbeitstag an – lückenlos und mit voller Schärfe. Für Personalabteilungen bedeutet das: Rechtssicherheit ja, aber nur bei peinlich genauer Dokumentation und absolut diskriminierungsfreiem Handeln.
Am 3. April 2025 setzte das Bundesarbeitsgericht einen Schlusspunkt unter eine langjährige Rechtsdebatte (Az. 2 AZR 178/24). Die Kernaussage: Arbeitgeber müssen vor der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters während der sechsmonatigen Wartezeit kein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchführen.
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Im konkreten Fall hatte ein Unternehmen einen schwerbehinderten Leiter der Haustechnik bereits nach drei Monaten entlassen – Grund war aus Arbeitgebersicht mangelnde fachliche Eignung. Der Mitarbeiter klagte auf Weiterbeschäftigung, scheiterte jedoch in allen Instanzen. Die Begründung des BAG: Das Präventionsverfahren ist untrennbar mit dem allgemeinen Kündigungsschutzgesetz verbunden, das erst nach sechs Monaten Beschäftigung greift. Diese Rechtslage gilt übrigens auch in Kleinbetrieben, wo das KSchG generell nicht anwendbar ist.
Damit beendete das Gericht eine Phase der Unsicherheit, die durch widersprüchliche Urteile niedrigerer Arbeitsgerichte entstanden war. Manche Instanzen hatten zuvor argumentiert, das Verfahren müsse auch in der Probezeit durchgeführt werden.
Was ist das Präventionsverfahren – und wo liegen seine Grenzen?
Das Präventionsverfahren gilt als Herzstück des Schutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer. Drohen Schwierigkeiten, die den Arbeitsplatz gefährden könnten – egal ob aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen –, muss der Arbeitgeber normalerweise aktiv werden: Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt werden einbezogen. Gemeinsam soll nach Lösungen gesucht werden, etwa durch Arbeitsplatzanpassungen oder Unterstützungsmaßnahmen.
Doch genau hier zieht das BAG die Grenze: Diese Verpflichtung entsteht erst mit dem allgemeinen Kündigungsschutz. Das Unterlassen des Verfahrens während der Probezeit macht eine Kündigung nicht unwirksam. Eine klare Ansage, die vielen Personalverantwortlichen Planungssicherheit gibt.
Bedeutet das nun Freibrief für Arbeitgeber?
Der eiserne Schutzschild: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Keineswegs. Denn während das Präventionsverfahren ruht, wacht ein anderer Rechtsschutz umso schärfer: das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Eine Kündigung ist automatisch nichtig, wenn sie auf der Behinderung des Mitarbeiters beruht. Das gilt ab dem ersten Tag – ohne Ausnahme.
Im entschiedenen Fall fand das BAG keine Anhaltspunkte für eine diskriminierungsbedingte Kündigung. Stattdessen lag eine nachvollziehbar dokumentierte mangelnde Eignung vor. Genau das ist der springende Punkt: Der Kündigungsgrund muss objektiv, lückenlos dokumentiert und absolut unabhängig von der Behinderung sein.
Kann ein Mitarbeiter plausibel darlegen, dass seine Behinderung eine Rolle spielte, dreht sich die Beweislast. Dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die Kündigung auf legitimen, diskriminierungsfreien Gründen basierte. Hier wird es schnell heikel für Unternehmen mit lückenhafter Dokumentation.
Was bedeutet das für die Praxis?
Das Urteil bringt Klarheit in die Verfahrensfragen – doch es verschärft zugleich die Anforderungen an die Sorgfalt. Die Probezeit erfüllt weiterhin ihren Zweck: Beide Seiten können die fachliche und persönliche Eignung prüfen, ohne formale Hürden wie bei langjährig Beschäftigten.
Doch HR-Abteilungen dürfen das nicht als Freifahrtschein missverstehen. Im Gegenteil: Die Betonung des Diskriminierungsschutzes macht penible Leistungsbewertungen und transparente Kündigungsentscheidungen wichtiger denn je. Jeder auch nur scheinbare Zusammenhang zwischen Kündigung und Behinderung kann zu einer AGG-Klage führen.
Das erfordert:
* Detaillierte Leistungsdokumentation von Beginn an
* Klare Kommunikation von Erwartungen und Defiziten
* Objektive Bewertungskriterien für die Eignung
* Proaktive Angebote für angemessene Anpassungen – auch ohne formales Verfahren
Ausblick: Sorgfalt schlägt Schnelligkeit
Der rechtliche Rahmen ist eindeutig: Der besondere Kündigungsschutz mit Zustimmungspflicht des Integrationsamts beginnt erst nach sechs Monaten. In der Probezeit ist das formale Präventionsverfahren nicht erforderlich – das absolute Diskriminierungsverbot aber gilt uneingeschränkt.
Für Arbeitgeber bedeutet das eine klare Botschaft: Juristische Sicherheit gibt es nur durch saubere Prozesse. Schulungen für Führungskräfte sollten den Unterschied zwischen leistungsbezogenen Problemen und behinderungsbedingten Aspekten schärfen. Wer bereits in der Probezeit angemessene Anpassungen anbietet, zeigt guten Willen – und erschwert spätere Diskriminierungsvorwürfe erheblich.
Die Probezeit bleibt das, was sie sein soll: Eine faire Bewertungsphase für Fähigkeiten und Leistung. Nur eben eine, die frei von jeglicher Voreingenommenheit gegenüber der Behinderung sein muss. Wer das verinnerlicht, navigiert sicher durch diese sensible Phase des Arbeitsverhältnisses.
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