Arbeitsgerichte: Neues Gesetz schützt Betriebsgeheimnisse
23.12.2025 - 22:31:12Ein hessisches Gericht hat entschieden, dass strenge Geheimnisschutzvorschriften aus Zivilprozessen auch in Arbeitsgerichtsverfahren gelten. Dies beendet ein altes Dilemma für Unternehmen.
Ein hessisches Gericht bestätigt erstmals, dass strenge Geheimhaltungsregeln auch in Kündigungsschutzprozessen gelten. Das beendet ein altes Dilemma für Unternehmen.
Frankfurt am Main, 23. Dezember 2025 – Unternehmen in Deutschland können sich in Kündigungsschutzprozessen jetzt wirksam vor der Offenlegung sensibler Betriebsgeheimnisse schützen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen hat in einer Grundsatzentscheidung bestätigt, dass die strengen Geheimnisschutzregeln des § 273a ZPO auch in Arbeitsgerichtsverfahren vollumfänglich anwendbar sind. Die Entscheidung, die einen Entlassungsfall bei der Deutsche Börse Group betraf, markiert eine Zeitenwende im Umgang mit sensiblen Unternehmensdaten vor Arbeitsgerichten.
Jahrzehntelang standen Arbeitgeber vor einem unlösbaren Problem: Mussten sie in einem Kündigungsschutzprozess beweisen, dass ein Mitarbeiter Betriebsgeheimnisse verraten hatte, offenbarten sie diese Geheimnisse oft erst recht – vor versammeltem Publikum im Gerichtssaal. Die Alternative war meist ein teurer Vergleich, nur um die Informationen unter Verschluss zu halten. Das neue Justizstandort-Stärkungsgesetz, das im April 2025 in Kraft trat, sollte diese Falle entschärfen. Die aktuelle Entscheidung aus Hessen zeigt nun: Die neuen Regeln wirken.
Das Ende des „Prozess-Dilemmas“
Der Konflikt ist alt: Arbeitsgerichtsverfahren sind grundsätzlich öffentlich. Diese Transparenz dient dem Rechtsfrieden, kann für Unternehmen aber zur Falle werden. Zwar sah das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) schon zuvor eine nicht-öffentliche Verhandlung in Ausnahmefällen vor. Doch dieser Schutz war lückenhaft. Er galt nicht für die schriftlichen Verfahrensakten und konnte die gegnerische Partei nicht davon abhalten, die einmal offengelegten Informationen außerhalb des Gerichtssaals zu nutzen.
Die entscheidende Wende brachte der neue § 273a ZPO. Die Vorschrift erlaubt es Zivilgerichten seit April 2025, bestimmte Informationen als „geheimhaltungsbedürftig“ einzustufen, sofern es sich um ein Geschäftsgeheimnis im Sinne des GeschGehG handelt. Die große Frage blieb: Gilt das auch für die eigenständige Arbeitsgerichtsbarkeit? Das LAG Hessen beantwortet sie nun mit einem klaren Ja.
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„Diese Entscheidung schließt eine gefährliche Schutzlücke“, erklärt Dr. Elena Weber, eine auf Arbeitsrecht spezialisierte Frankfurter Anwältin. „Arbeitgeber müssen nicht länger wählen zwischen einem gewonnenen Prozess und dem Schutz ihres geistigen Eigentums. Das Gericht hat klargestellt, dass § 273a ZPO nicht nur für Handelsstreitigkeiten, sondern auch als Schutzschild in Kündigungsschutzklagen taugt.“
Der Fall: Deutsche Börse gegen mutmaßlichen Whistleblower?
Anlass der Grundsatzentscheidung war ein Entlassungsfall bei einer Tochtergesellschaft der Deutsche Börse Group. Der Arbeitgeber hatte einen Mitarbeiter gekündigt, weil dieser angeblich vertrauliche „Überwachungsmethoden“ und interne Compliance-Verfahren an Unbefugte weitergegeben habe.
Als der Mitarbeiter gegen die Kündigung klagte, stand das Unternehmen vor dem klassischen Dilemma: Um die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu beweisen, musste es detailliert darlegen, welche Informationen preisgegeben wurden und warum sie so sensibel waren. Genau das hätte die Geheimnisse aber endgültig öffentlich gemacht.
Das Unternehmen beantragte daher, die Beschreibung der Überwachungsmethoden nach § 273a ZPO unter Verschluss zu stellen. Das erstinstanzliche Arbeitsgericht lehnte den Antrag zunächst ab und berief sich auf das traditionelle Prinzip der Öffentlichkeit. Die 18. Kammer des LAG Hessen korrigierte diese enge Auslegung nun.
Die Berufungsrichter stellten klar:
1. Anwendbarkeit: § 273a ZPO gilt über die Verweisung in § 46 Abs. 2 ArbGG auch für Arbeitsgerichte.
2. Umfang: Der Schutz erstreckt sich nicht nur auf die mündliche Verhandlung, sondern auf alle Verfahrensunterlagen.
3. Konsequenzen: Ergeht eine Geheimhaltungsanordnung, sind die Gegenseite und deren Anwälte rechtlich daran gebunden. Eine Verletzung kann hohe Geldstrafen nach sich ziehen.
So funktioniert der neue Geheimnisschutz in der Praxis
Für Personalabteilungen und Unternehmensjuristen ändert sich die Prozessstrategie sofort. Seit Dezember 2025 gilt ein strenges Prozedere:
- Fristgerechter Antrag: Der Geheimnisschutz muss spezifisch beantragt werden, und zwar vor oder gleichzeitig mit der Einreichung der sensiblen Informationen.
- Glaubhafte Darlegung: Der Antragsteller muss nicht lückenlos beweisen, dass ein Geheimnis vorliegt. Es reicht aus, dies glaubhaft zu machen – etwa durch den Hinweis auf den wirtschaftlichen Wert der Information und bestehende interne Vertraulichkeitsmaßnahmen.
- Vorläufiger Schutz: Mit Antragstellung behandelt das Gericht die Informationen bereits als vertraulich.
- Beschränkter Zugang: Wird der Antrag bewilligt, erhalten nur namentlich benannte Personen (Richter, Anwälte der Parteien) Zugang zu den ungeschwärzten Akten. Die Öffentlichkeit wird für diesen Teil der Verhandlung ausgeschlossen.
Rechtsexperten sehen darin eine Angleichung an internationale Standards, insbesondere die EU-Geschäftsgeheimnis-Richtlinie. Für Unternehmen mit sensibler Forschung oder Compliance-Daten wird Deutschland damit als Rechtsstandort attraktiver.
Analyse: Die Machtbalance verschiebt sich
Die Entwicklung stärkt die Position des Arbeitgebers in heiklen Kündigungsfällen erheblich. Bislang konnten Arbeitnehmer oft mit der Drohung einer öffentlichen Aussprache im Gerichtssaal höhere Abfindungen erpressen. Mit § 273a ZPO als wirksamem Werkzeug ist dieses Druckmittel deutlich stumpfer geworden.
„Die taktische Landschaft hat sich verschoben“, analysiert Arbeitsrechtsexperte Thomas Müller. „Beschäftigte können nicht mehr auf den ‚Störwert‘ setzen, interne Wäsche öffentlich zu waschen. Ist die Wäsche als Geschäftsgeheimnis klassifiziert, wäscht sie das Gericht unter Verschluss.“
Doch das LAG Hessen betonte auch: Der Schutz ist nicht automatisch gewährt. Im konkreten Fall verwies es die Sache zurück an die erste Instanz. Die Deutsche Börse muss nun detaillierter darlegen, dass es sich bei den „Überwachungsmethoden“ tatsächlich um ein schützenswertes Geheimnis und nicht um allgemein bekanntes Wissen handelt. Blanko-Anträge auf Geheimhaltung wird es also nicht geben.
Ausblick auf 2026: Der Präzedenzfall wirkt
Rechtsexperten rechnen für 2026 mit einer Welle von Anträgen nach § 273a ZPO vor Arbeitsgerichten in ganz Deutschland. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich zu der Frage zwar noch nicht abschließend geäußert. Die fundierte Begründung des LAG Hessen bietet jedoch einen starken Präzedenzfall, dem andere Landesarbeitsgerichte voraussichtlich folgen werden.
Für Unternehmen lautet die wichtigste Handlungsanweisung: Vorsorge treffen. Um den neuen prozessualen Schutz erfolgreich nutzen zu können, müssen sie nachweisen, dass sie die Informationen vor dem Rechtsstreit bereits durch „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ gesichert hatten. Dazu zählen wirksame Vertraulichkeitsvereinbarungen (NDA), IT-Sicherheitsvorkehrungen und das „Need-to-know“-Prinzip. Wo diese Vorkehrungen fehlen, hilft auch das neue Gesetz nicht weiter.
Die Entscheidung aus Hessen erweist sich damit als Meilenstein für das Justizstandort-Stärkungsgesetz. Die Reform wirkt nicht nur in den hohen Zivilkammern, sondern auch im Alltag des Arbeitsrechts.
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