Deutschland, Regierung

«Fragen Sie mal Ihre Töchter», hat Merz in der «Stadtbild»-Debatte vorgeschlagen.

28.10.2025 - 18:35:02

Merz kommentiert Frauen-Forderungen zunächst nicht. 60 Frauen antworten ihm mit zehn konkreten Forderungen. Der Kanzler schweigt zunächst dazu.

  • Merz hatte vor rund zwei Wochen mit einer Äußerung zur Migrationspolitik der Bundesregierung eine Debatte ausgelöst.  - Foto: Matthias Rietschel/Reuters/Pool/dpa

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  • 250 Demonstranten versammelten sich vor der Dresdner Staatskanzlei während des Besuchs des Kanzlers in der sächsischen Hauptstadt. - Foto: Jan Woitas/dpa

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Merz hatte vor rund zwei Wochen mit einer Äußerung zur Migrationspolitik der Bundesregierung eine Debatte ausgelöst.  - Foto: Matthias Rietschel/Reuters/Pool/dpa250 Demonstranten versammelten sich vor der Dresdner Staatskanzlei während des Besuchs des Kanzlers in der sächsischen Hauptstadt. - Foto: Jan Woitas/dpa

60 Frauen aus Kultur, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft haben sich in der «Stadtbild»-Debatte mit einem offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gewandt und zehn konkrete Forderungen aufgestellt. Dazu zählt die konsequentere Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt, die Aufnahme der Tötung von Frauen wegen ihres Geschlechts (Femizid) als eigenen Tatbestand ins Strafgesetzbuch und die Reform des Abtreibungsparagrafen 218. 

Auf die Frage einer Journalistin, ob er auf die Forderungen eingehen werde und wo er Handlungsbedarf sehe, wollte Merz auf einer Pressekonferenz bei einem Besuch der Handwerkskammer in Dresden nicht antworten. Er sei bei der Handwerkskammer, um sich «mit den Themen, die die Menschen wirklich in der Breite und Tiefe beschäftigen, zu befassen», sagte er. Der CDU-Vorsitzende nannte die Berufsausbildung und die Frage, wie junge Menschen - «auch junge Frauen» - für Handwerksberufe gewonnen werden könnten. «Das ist hier das Hauptthema meines heutigen Besuches.»

Debatte läuft seit zwei Wochen

Merz hatte die Debatte vor zwei Wochen mit einer Äußerung zur Migrationspolitik der Bundesregierung ausgelöst: «Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.» Erst eine Woche später wurde er konkreter: Probleme machten diejenigen Migranten, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, die nicht arbeiteten und die sich auch nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten, sagte er. 

Zwischenzeitlich hatte er auf die Frage, was er mit seiner Äußerung zu Problemen im Stadtbild denn gemeint habe, geantwortet: «Fragen Sie mal Ihre Töchter.» 

Darauf nehmen die Autorinnen in ihrem offenen Brief Bezug: «Wir möchten gerne über Sicherheit für Töchter, also Frauen sprechen. Wir möchten es allerdings ernsthaft tun, und nicht als billige Ausrede dienen, wenn rassistische Narrative rechtfertigt werden sollen.»

Neubauer, Lang und Denalane unter den Unterzeichnerinnen

Unterzeichnet haben das Schreiben nach Angaben der Initiatorinnen unter anderem Grünen-Politikerin Ricarda Lang, Klimaaktivistin Luisa Neubauer, Musikerin Joy Denalane und die Autorin Alice Hasters. Außerdem dabei: die Schauspielerin Melika Foroutan sowie die Schriftstellerinnen Lena Gorelik und Mithu Sanyal.

«Wir wollen, dass Frauen sicher sind – auf der Straße und im eigenen Zuhause», schreiben sie und listen zehn Forderungen auf. 

  • Konsequentere Strafverfolgung bei sexualisierter und häuslicher Gewalt
  • Bessere Beleuchtung und Überwachung öffentlicher Räume
  • Femizide als eigener Tatbestand im Strafgesetzbuch
  • Verlässliche Datenerhebung zu Gewalt gegen Frauen – differenziert nach Diskriminierungserfahrungen
  • Mehr Geld für Frauenhäuser und Schutzräume
  • Gewaltschutzgesetz besser finanzieren und Anerkennung rassistisch motivierter Gewalt in Gesetzgebung und Praxis
  • Mehr Schutz vor digitaler Gewalt und Rassismus im Netz
  • Recht auf körperliche Selbstbestimmung einführen durch die Reform von Paragrafen 219 und 218 im Strafgesetzbuch
  • Finanzielle Unabhängigkeit von Frauen stärken - gleicher Lohn für gleiche Arbeit
  • Altersarmut von Frauen konsequent bekämpfen

Bundesweite Proteste nach «Stadtbild»-Aussage

In den vergangenen Wochen hatte es Dutzende Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern gegen die «Stadtbild»-Äußerungen des Kanzlers gegeben. Eine Protest-Petition im Internet haben inzwischen mehr 245.000 Menschen unterzeichnet. In Dresden demonstrierten heute 250 Menschen vor der Staatskanzlei, wo der Kanzler an einer Sitzung des sächsischen Kabinetts teilnahm. Es war sein Antrittsbesuch als Kanzler in Sachsen.

In einer ZDF-Umfrage hatten sich allerdings 63 Prozent hinter Merz' «Stadtbild»-Äußerung und seine Konkretisierung, wen er damit meint, gestellt.

Miersch für «konkrete Lösungen»

Unklar ist weiterhin, was aus der Debatte folgt. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schreibt in einem Brief an die sozialdemokratischen Abgeordneten, man müsse nun mit der Union, den Ländern und vor allem mit den Kommunen «an konkreten Lösungen» arbeiten. «Ein soziales, inklusives und sicheres Stadtbild entsteht dort, wo Politik hinhört und handelt, statt zu spalten.» Mit Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) habe er vereinbart, dass sich die zuständigen Fachpolitiker nun austauschten, berichtet Miersch seiner Fraktion. Konkreter wurde er aber nicht. Zuvor hatten bereits Fachpolitiker der SPD einen «Stadtbild»-Gipfel im Kanzleramt gefordert.

Warken: Ein «paar Lampen aufhängen» reicht nicht

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, die auch Vorsitzende der Frauen Union der CDU ist, sieht ebenfalls Handlungsbedarf. In vielen Innenstädten gebe es Probleme mit Zonen, wo man schauen müsse, was mit Beleuchtung, Sauberkeit und Videoüberwachung getan werden könne, sagte sie «Table.Briefings». «Jetzt aber so zu tun, als ob es nur genügt, ein paar Lampen aufzuhängen und irgendwie den Müll wegzufahren, das reicht, glaube ich, nicht», fügte sie hinzu.

Forderung nach Videoüberwachung mit Gesichtsbilderkennung

Von Innenpolitikern der Union kam zuletzt vor allem die Forderung nach Videoüberwachung mit biometrischer Gesichtserkennung. Dagegen gibt es aber rechtliche Bedenken. Solche «massenhaften Grundrechtseingriffe» seien in «verfassungsgemäßer Ausgestaltung» kaum denkbar, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins dazu. «Das ist Symbolpolitik ohne Sicherheitsgewinn, dafür mit großen Freiheitseinschränkungen für Millionen unbescholtener Bürgerinnen und Bürger.»

@ dpa.de

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