Wohnungsbau, Abgrund

Wohnungsbau am Abgrund: Branche warnt vor sozialem Kollaps

27.11.2025 - 05:09:12

Der deutsche Wohnungsbau steckt in der Strukturkrise. Mit nur 250.000 fertiggestellten Wohnungen 2024 wurde das Regierungsziel von 400.000 Einheiten erneut drastisch verfehlt – und ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Kann der neue „Bau-Turbo” die Wende bringen?

Diese Woche zeichneten Branchenverbände ein alarmierendes Bild der Lage. Während der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) beim Jahrestreffen vor einem Kollaps der sozialen Wohnraumversorgung warnte, drängt der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) die Kommunen zur sofortigen Umsetzung neuer Baugesetze. Die Botschaft ist eindeutig: Die Zeit der Absichtserklärungen ist vorbei.

GdW-Präsident Axel Gedaschko fand am Dienstag beim „Tag der Wohnungswirtschaft 2025″ drastische Worte. Er warnte vor einem „sich zuspitzenden systemischen Risiko” für Wirtschaft und Gesellschaft. „Das Menschenrecht auf Wohnen ist in Deutschland zunehmend gefährdet und zwingt zu einem radikalen Umdenken auf allen staatlichen Ebenen”, erklärte Gedaschko vor Vertretern aus Politik und Wirtschaft.

Die Zahlen geben ihm recht. Für 2025 stehen zwar Rekordmittel von 3,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bereit. Doch angesichts explodierter Baukosten lassen sich damit lediglich 40.000 bis 45.000 neue Sozialwohnungen realisieren – ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Besonders scharf kritisierte Gedaschko politische Debatten über Enteignungen: „Jeder Euro in Enteignungen ist totes Kapital und hilft der großen Mehrheit der Menschen nicht. Jeder Euro in Neubau schafft reale Werte und Wohnraum.”

Förderung am Ziel vorbei

Die GdW-Analyse offenbart ein grundsätzliches Problem. Über 90 Prozent der bisherigen Effizienzhaus-Fördermittel flossen an Haushalte mit überdurchschnittlichen Einkommen. Der bezahlbare Mietwohnungsbau blieb auf der Strecke.

Der Verband fordert deshalb einen „kosten-nutzen-optimierten Praxispfad”. Investitionen müssen dort gebündelt werden, wo sie am meisten Wohnraum und CO₂-Einsparung pro Euro generieren. Die aktuelle Förderlogik verfehlt dieses Ziel komplett.

Gedaschko rief zu einem gesellschaftlichen „Ruck” auf – ähnlich der berühmten Rede von Roman Herzog. Ohne radikales Umdenken drohe eine weitere Verschärfung der sozialen Spannungen.

Kommunen blockieren den „Bau-Turbo”

Parallel zu den GdW-Warnungen mahnt der ZIA die Kommunen zur Eile. Im Fokus steht der neue § 246e des Baugesetzbuches – der sogenannte „Bau-Turbo”. Diese Regelung erlaubt Kommunen bis Ende 2030, in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt von Bebauungsplänen abzuweichen.

ZIA-Präsidentin Iris Schöberl appellierte diese Woche direkt an Länderchefs und Bürgermeister: „Bezahlbares Bauen braucht Tempo – gerade in einer Phase, in der in vielen Regionen viel zu wenig Wohnungen vorhanden sind. Jetzt müssen die Kommunen die neuen Möglichkeiten konsequent nutzen.”

Doch genau hier hakt es. Obwohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, stockt die Umsetzung vor Ort. „Die Immobilienwirtschaft steht bereit, Projekte umzusetzen. Aber die Wirksamkeit hängt entscheidend von den Kommunen ab”, so Schöberl.

Der Verband fordert zudem flankierende Maßnahmen:

  • Verzicht auf „nicht unbedingt notwendige Baustandards” (Gebäudetyp E)
  • Senkung der Grunderwerbsteuer
  • Praxis-Leitfäden für Kommunen zur Anwendung des § 246e BauGB

Das kürzlich gestartete „Umsetzungslabor” soll bis März 2026 entsprechende Hilfestellungen erarbeiten.

Historischer Einbruch mit Ansage

Die Dringlichkeit wird durch aktuelle Zahlen untermauert. Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) prognostiziert für 2025 einen weiteren realen Umsatzrückgang im Wohnungsbau von rund 7,0 Prozent. Dies folgt auf ein katastrophales Jahr 2024 mit zweistelligen Einbußen.

Ein historischer Vergleich verdeutlicht das Ausmaß: 1995 wurden noch rund 600.000 Wohnungen in Deutschland fertiggestellt – 2024 waren es nur circa 250.000. Die Genehmigungszahlen verharren trotz leichter Stabilisierung der Auftragsbestände auf niedrigem Niveau.

Während der Tiefbau dank staatlicher Infrastrukturprojekte leichte Zuwächse verzeichnet, bleibt der Wohnungsbau das Sorgenkind der Nation. Kaltmieten von 18 bis 20 Euro pro Quadratmeter sind nötig, um Neubauprojekte wirtschaftlich darzustellen – Preise, die für die breite Mittelschicht kaum noch leistbar sind.

Die toxische Mischung

Die aktuelle Krise ist komplexer als frühere Einbrüche. Sie entstand nicht durch einen einzelnen Schock, sondern durch eine toxische Mischung aus Zinsanstieg, Kostenexplosion und Überregulierung.

Experten sehen eine gefährliche Schere: Baukosten verharren auf historisch hohem Niveau, während erzielbare Mieten diese Kosten im Neubau kaum decken können. Der Mangel trifft auf ungebrochen hohe Nachfrage durch Zuwanderung und kleinere Haushalte.

Große Bestandshalter wie Vonovia signalisieren zwar eine Stabilisierung. Diese basiert jedoch primär auf steigenden Mieteinnahmen und Werterholung im Bestandsportfolio – nicht auf Neubauaktivitäten. Investitionen fließen derzeit eher in Bewirtschaftung und energetische Sanierung des Bestands.

Was jetzt passieren muss

Entscheidend für eine Wende 2026 wird sein, wie schnell der „Bau-Turbo” tatsächlich zündet. Sollten Kommunen den § 246e BauGB in den nächsten sechs Monaten breit anwenden, könnte dies in der zweiten Jahreshälfte zu einem Anstieg der Baugenehmigungen führen.

Zudem richtet sich der Blick auf die Europäische Zentralbank. Eine weitere Stabilisierung oder Senkung der Bauzinsen wäre der stärkste Hebel, um private und institutionelle Investoren zurück in den Markt zu holen.

Politisch wächst der Druck auf die Bundesregierung, Baustandards (Gebäudetyp E) nicht nur zu diskutieren, sondern rechtssicher zu verankern. Ohne signifikante Senkung der Gestehungskosten bleibt das Ziel von 400.000 Wohnungen eine Utopie.

Bis dahin dominieren Bestandspflege und Nachverdichtung die Immobilienentwicklung. Das „Menschenrecht auf Wohnen” – es droht zur hohlen Phrase zu verkommen, wenn jetzt nicht gehandelt wird.

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