TV-L-Tarifrunde: Harte Wochen für deutsche Arbeitnehmer
16.11.2025 - 16:50:12Der öffentliche Dienst steht vor entscheidenden Verhandlungen. Während 1,1 Millionen Landesbeschäftigte auf deutliche Lohnerhöhungen hoffen, verschärft eine neue EU-Richtlinie den Druck auf Arbeitgeber. Die Mitbestimmung erlebt eine Renaissance – mit ungewissem Ausgang.
Am Montag zeigt ver.di ihre Karten: Die Gewerkschaft gibt bekannt, was sie für die Beschäftigten der Bundesländer fordert. Nur Hessen verhandelt separat, alle anderen stehen gemeinsam vor der wohl schwierigsten Tarifrunde seit Jahren. Der Grund? Die Schere zwischen Inflationsdruck und leeren Länderkassen klafft weiter auseinander. Beobachter rechnen bereits mit massiven Warnstreiks, sollten die Arbeitgeber noch bescheidener abschließen wollen als Bund und Kommunen im Frühjahr.
Die Verhandlungen beginnen am 3. Dezember 2025. Was auf dem Spiel steht, geht weit über Prozentpunkte hinaus: Die Ergebnisse beeinflussen nicht nur die Gehälter von 1,1 Millionen Angestellten, sondern auch die Besoldung von rund 1,4 Millionen Beamten und Versorgungsempfängern. Eine Signalwirkung, die niemand unterschätzen sollte.
Die Mitgliederbefragung von ver.di zeigt ein klares Bild: Beschäftigte wollen nicht nur Inflationsausgleich, sondern auch modernere Arbeitsbedingungen. Homeoffice-Regelungen, flexible Arbeitszeiten, klarere Rahmenbedingungen – die qualitativen Forderungen könnten in dieser Runde genauso hart umkämpft sein wie die Gehaltsfragen.
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Können sich die Länder das leisten? Ihre Finanzminister verweisen gebetsmühlenartig auf angespannte Haushalte. Doch die Gewerkschaften kontern: Ohne attraktive Bedingungen verschärft sich der Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst weiter. Ein Argument, das in Zeiten leerer Lehrerzimmer und überlasteter Verwaltungen an Gewicht gewinnt.
Die zweite Verhandlungsrunde ist für Mitte Januar angesetzt, die entscheidende dritte für Februar 2026. Bis dahin dürfte sich zeigen, ob die Arbeitgeber bereit sind, echte Zugeständnisse zu machen – oder ob die Beschäftigten für ihre Forderungen auf die Straße gehen müssen.
EU-Transparenz-Richtlinie: Revolution in der Lohngestaltung
Während die Tarifverhandlungen die Schlagzeilen dominieren, bahnt sich eine stille Revolution in deutschen Betrieben an. Die EU-Entgelttransparenz-Richtlinie, die bis Juni 2026 umgesetzt werden muss, stattet Betriebsräte mit bisher ungekannten Machtinstrumenten aus. Eine am 13. November veröffentlichte juristische Analyse verdeutlicht: Das Ende intransparenter Gehaltsstrukturen ist beschlossene Sache.
Betriebsräte erhalten erstmals echte Hebel, um Lohnunterschiede nicht nur zu hinterfragen, sondern aktiv zu bekämpfen. Ihr Zustimmungsverweigerungsrecht bei Einstellungen wird gestärkt, wenn Verstöße gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegen. Unternehmen müssen künftig offenlegen, nach welchen Kriterien sie Gehälter festlegen – und diese Kriterien mit den Arbeitnehmervertretungen diskutieren.
Für Arbeitgeber bedeutet das einen Paradigmenwechsel: Vorbei sind die Zeiten, in denen Gehälter hinter verschlossenen Türen festgelegt wurden. Die neue Rechenschaftspflicht zwingt Personalabteilungen, ihre Lohnstrukturen objektiv zu begründen. Können sie das nicht, haben Betriebsräte erstmals wirksame Werkzeuge in der Hand, um Korrekturen durchzusetzen.
Konfliktherde überall: Von Coca-Cola bis zur Holzindustrie
Die angespannte Stimmung vor der TV-L-Runde spiegelt sich bundesweit wider. Am 12. November beendete die Gewerkschaft NGG ihren Konflikt mit Coca-Cola nach einer Serie von Warnstreiks. Das Ergebnis: Einmalzahlungen für 2025 und gestaffelte Erhöhungen bis 2027. Ein Kompromiss, der beide Seiten nicht vollständig zufriedenstellt, aber weiteren Arbeitskampf verhindert.
Anders die Lage am Elbe-Elster-Klinikum: Dort verhandelt ver.di weiter über 8 Prozent mehr Gehalt und kürzere Arbeitszeiten für 740 Beschäftigte. In der Holz- und Kunststoffindustrie bereitet sich die IG Metall auf Gespräche um 5 Prozent mehr Lohn für über 166.000 Beschäftigte vor. Ab Mitte Dezember drohen Warnstreiks, sollten die Arbeitgeber blockieren.
Was diese regionalen Konflikte eint: Der Druck auf die Arbeitgeber wächst. Fachkräftemangel, Inflation und gestiegenes Selbstbewusstsein der Beschäftigten schaffen eine Gemengelage, die Arbeitgeberverbände nervös macht. Die Zeiten, in denen Beschäftigte notgedrungen jeden Abschluss akzeptierten, scheinen vorbei.
Sozialpartnerschaft am Scheideweg?
Die kommenden Monate werden zeigen, ob Deutschlands Modell der Sozialpartnerschaft den neuen Herausforderungen gewachsen ist. Die TV-L-Runde wird zum Lackmustest: Gelingt ein ausgewogener Kompromiss, bleibt die Arbeitsfähigkeit des öffentlichen Dienstes erhalten. Scheitern die Verhandlungen, drohen die umfassendsten Streiks im Länderdienst seit Jahren.
Parallel dazu verändert die EU-Transparenz-Richtlinie das Kräfteverhältnis in den Betrieben grundlegend. Arbeitgeber, die glauben, sie könnten die neuen Regeln aussitzen, täuschen sich. Die Betriebsräte sind gewappnet – und haben künftig das Recht auf ihrer Seite.
Ob diese doppelte Herausforderung zu mehr Fairness und moderneren Arbeitsbedingungen führt oder eine Phase zunehmender Konfrontation einläutet, hängt von der Verhandlungsbereitschaft beider Seiten ab. Die nächsten Wochen werden entscheidend sein. Der Druck jedenfalls steigt – auf allen Ebenen.
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