Schwerbehindertenvertretung, DGB

Schwerbehindertenvertretung: DGB fordert Mitsprache bei Aufhebungsverträgen

06.12.2025 - 12:50:12

Gewerkschaften und Sozialverbände starten nach dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen eine koordinierte Offensive: Die Schwerbehindertenvertretung soll künftig auch bei einvernehmlichen Aufhebungsverträgen ein Wort mitzureden haben. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di drängen auf schnelle Gesetzesänderungen. Im Zentrum steht eine Lücke im Arbeitsrecht, die es Arbeitgebern ermöglicht, den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Beschäftigter zu umgehen.

Die zentrale Forderung: Was bei einer klassischen Kündigung gilt, muss auch für Aufhebungsverträge gelten – die Schwerbehindertenvertretung muss informiert und angehört werden.

Nach geltendem Recht müssen Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor einer einseitigen Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters konsultieren. Bei sogenannten Aufhebungsverträgen – formal einvernehmlichen Trennungen – entfällt diese Pflicht jedoch weitgehend. Genau hier sehen die Gewerkschaften das Problem.

„Solange Unternehmen versuchen, Beschäftigte mit Behinderungen über Aufhebungsverträge loszuwerden, um den besonderen Kündigungsschutz oder das betriebliche Eingliederungsmanagement zu umgehen, versagt das System”, kritisierte Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied, am Dienstag. Die Praxis sei eindeutig: Aufhebungsverträge würden oft unter Druck präsentiert, die Betroffenen hätten kaum echte Verhandlungsmacht.

Piels Forderung ist rechtlich verbindlich: Die Schwerbehindertenvertretung muss bei allen Personalentscheidungen einbezogen werden, die faktisch eine Beschäftigung beenden – unabhängig von der juristischen Form. „Was für eine Kündigung ohne Information und Anhörung der Vertretung gilt, muss endlich auch für Aufhebungsverträge gelten – sie sollten nur mit dieser Begleitung wirksam sein”, so Piel. Ohne diese Änderung bleibe die viel beschworene „Stärkung der Mitbestimmung” für viele vulnerable Arbeitnehmer eine hohle Phrase.

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Verzögerte Reformen: Private Wirtschaft bleibt außen vor

Parallel wächst der Frust über die verschleppte Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Verbände wie der VdK und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) werfen der Bundesregierung vor, die Privatwirtschaft von strikten Barrierefreiheits-Vorgaben auszunehmen.

Während die Regierung sich bei der Inklusion in der öffentlichen Verwaltung auf die Schulter klopft, bleibt der private Sektor weitgehend verschont. Die ISL beschrieb den aktuellen Gesetzentwurf um den 3. Dezember herum als enttäuschend: Er „schafft keine Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft und zementiert damit Ausgrenzung.”

Auch der Sozialverband VdK Bayern übte Kritik – diesmal an der Verwendung der Ausgleichsabgabe. Diese Strafgebühr zahlen Unternehmen, die die Beschäftigungsquoten für Menschen mit Behinderungen verfehlen. Aktuell fließt ein Teil dieser Mittel in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Der VdK fordert: Die Gelder sollten ausschließlich die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fördern und Firmen helfen, jene Barrierefreiheits-Maßnahmen zu finanzieren, die sie angeblich nicht stemmen können.

Das ökonomische Paradox: Fachkräfte bleiben links liegen

Die Offensive für mehr Mitbestimmungsrechte trifft auf widersprüchliche Wirtschaftsdaten. Trotz flächendeckendem Fachkräftemangel liegt die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderungen überproportional hoch.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) räumte diesen Widerspruch jüngst ein und betonte, Inklusion sei „keine Frage der Wohltätigkeit, sondern der ökonomischen Vernunft”. Doch moralische Appelle allein führten bislang nicht zu steigenden Einstellungszahlen, monieren Kritiker.

Um gegenzusteuern, starteten die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) diese Woche die Bewerbungsphase für den „Inklusionspreis 2026″. Die Initiative will Unternehmen ins Rampenlicht stellen, die erfolgreich Menschen mit Behinderungen integriert haben – als Beweis, dass Barrierefreiheit und Profitabilität vereinbar sind. BDA-Präsident Dr. Rainer Dulger unterstrich am Mittwoch: „Unternehmen, die Vielfalt leben, sind widerstandsfähig und innovativ.” Ein Versuch, die Erzählung von der Regulierungslast zum Wettbewerbsvorteil umzudrehen.

Machtverschiebung am Verhandlungstisch?

Die Forderung, die Schwerbehindertenvertretung zu stärken, ist mehr als juristische Kleinkrämerei – es geht um Machtverhältnisse. Anders als Betriebsräte hat die Schwerbehindertenvertretung meist nur ein Anhörungsrecht und kann Entscheidungen für eine Woche aussetzen, aber kein echtes Vetorecht ausüben.

Indem Gewerkschaften nun Aufhebungsverträge ins Visier nehmen, wollen sie den Schutzschild der Schwerbehindertenvertretung in die „Grauzone” des Personalabbaus ausdehnen. Würde die DGB-Forderung Gesetz, wäre ein ohne SBV-Konsultation geschlossener Aufhebungsvertrag unwirksam – ein massives juristisches Risiko für Arbeitgeber. Sie müssten die Interessenvertretung zwingend von Beginn an einbeziehen.

Das passt zur breiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Deutschland 2009 ratifiziert, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber nur schleppend umgesetzt hat.

Ausblick: Schmales Zeitfenster vor der Wahl

Kurzfristig: DGB und VdK werden den Druck in den kommenden Wochen weiter erhöhen, um den BGG-Entwurf um privatwirtschaftliche Verpflichtungen zu erweitern.

Reaktion der Arbeitgeber: Unternehmen dürften eine Pflicht zur SBV-Beteiligung bei Aufhebungsverträgen massiv ablehnen – mit dem Argument, dies beschneide die Vertragsfreiheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

2026-Horizont: Der „Inklusionspreis” und kommende Wahlkämpfe halten das Thema sichtbar. Doch substanzielle Rechtsänderungen bei der Mitbestimmung werden davon abhängen, ob die Politik vor der nächsten Bundestagswahl bereit ist, sich mit den Arbeitgeberverbänden anzulegen.

Eines ist klar: Die Debatte über Inklusion am Arbeitsmarkt hat die Phase der unverbindlichen Absichtserklärungen verlassen. Jetzt geht es um harte rechtliche Fakten – und um die Frage, wer bei der nächsten Kündigung mit am Tisch sitzt.

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