Schaeffler-Betriebsrat startet direkten Dialog in Umbruchphase

Der Betriebsrat des Automobilzulieferers Schaeffler hat eine ungewöhnliche Weihnachtsaktion gestartet, um die Belegschaft im komplexen Vitesco-Integrationsprozess enger zu binden. Statt Festtagsgrüßen sammeln die Mitarbeitervertreter gezielt Sorgen und Feedback.

Besondere Weihnachtsaktion als „Listening Tour“

An diesem Montag, dem letzten Werktag vor den Feiertagen, setzten die Betriebsräte an den großen deutschen Standorten wie Schweinfurt und Herzogenaurach auf direkte Gespräche. Die als „Besondere Weihnachtsaktion“ deklarierte Initiative ist strategisch angelegt: Sie soll verhindern, dass in der ferienbedingten Informationsflaute Gerüchte über die anstehenden Restrukturierungen überhandnehmen. „Wir wollen ins direkte Gespräch mit den Kollegen kommen und ihre Anliegen sichtbar machen“, erklärte das IG Metall-Team bei Schaeffler. An dezentralen Kontaktpunkten in Werkshallen und Büros sammelten die Vertreter konkretes Feedback zum laufenden Mergervollzug und der Umsetzung des „Zukunftstarifvertrags“.

Dieser Ansatz markiert einen Wechsel von reaktiver zu proaktiver Kommunikation. Indem die Betriebsräte die Belegschaft in der sensiblen Vorweihnachtszeit an ihren Arbeitsplätzen ansprechen, wollen sie Vertrauen aufbauen und zugleich valide Stimmungsbilder für die anstehenden Verhandlungen im neuen Jahr gewinnen.

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Zwei Unternehmenskulturen unter einem Dach

Der Bedarf an dieser innovativen Kommunikation ist enorm. Seit der formellen Fusion mit Vitesco Technologies im Oktober 2024 wächst Schaeffler zum „Motion Technology Company“ zusammen – eine Herausforderung für die Interessenvertretung. Aus dem traditionellen Wälzlagerhersteller und dem Spezialisten für E-Mobilitäts-Elektronik entsteht ein neues Ganzes. Die Belegschaft ist jedoch noch geteilt.

Der Betriebsrat muss nun eine gemeinsame Identität für Tausende Mitarbeiter schaffen, die aus unterschiedlichen Unternehmenskulturen stammen. Dieser Spagat zeigte sich bereits bei der Neukonstituierung des Europäischen Betriebsrats im April 2025, in dem erstmals Vertreter beider Ursprungsgesellschaften sitzen. Die aktuelle Kommunikationsoffensive zielt darauf ab, das „Wir gegen Die“-Denken abzubauen. Die Botschaft lautet: Trotz unterschiedlicher Historie teilt man nun die gleichen Herausforderungen – vor allem angesichts der Strukturmaßnahmen, von denen bis zu 4.700 Stellen in Europa betroffen sein könnten.

Digitale Solidarität bindet Remote-Mitarbeiter

Ein Schlüssel zum Erfolg ist die Digitalisierung der Interessenvertretung. Das bewies der Betriebsrat bereits in der vergangenen Woche mit einer modernisierten Spendenaktion. Für die „Johanniter-Weihnachtstrucker“ führte er „virtuelle Pakete“ ein. Über eine Online-Plattform konnten alle Beschäftigten – ob im Homeoffice, in der Verwaltung oder an der Werkbank – digital Hilfspakete packen. So entstanden über 350 physische Pakete in Herzogenaurach und Erlangen, ergänzt durch hunderte virtuelle Spenden.

Dieses digitale Engagement ist strategisch klug. Es bindet jene wachsende Gruppe von Angestellten und Remote-Workern ein, die für den klassischen „Werkstattrundgang“ schwer erreichbar sind. Über die Teilnahme an sozialen Projekten bleiben sie in der Unternehmensgemeinschaft verankert. Das schafft Vertrauen und eröffnet Kanäle für später notwendige, schwierigere Gespräche zu Themen wie Stellenabbau oder Standortsicherung.

Innovation aus der Not geboren

Der Drang zu innovativer Kommunikation ist keine Marotte, sondern Überlebensstrategie. Seit der Ankündigung umfassender Strukturmaßnahmen durch den Vorstand im November 2024 herrscht bei Schaeffler eine angespannte Lage. Die Betriebsräte müssen komplizierte Sachverhalte vermitteln: den Unterschied zwischen Aufhebungsverträgen, Versetzungen und Qualifizierungsangeboten.

Das „Direct Dialogue“-Format ermöglicht es, komplexe Vereinbarungen wie den Zukunftstarifvertrag persönlich zu erläutern. Das reduziert die Gefahr, dass sich in sozialen Netzwerken Fehlinformationen viral verbreiten. Beobachter sehen darin ein Modell für die Interessenvertretung in der „Industrie 4.0“. Wenn die Produktion digitaler wird, muss es auch die Arbeit der Betriebsräte sein – von schwarzen Brettern hin zu Apps, von Massenversammlungen hin zu zielgenauen, datenbasierten Dialogkampagnen.

Agenda für 2026 wird geschrieben

Die gesammelten Eindrücke der Weihnachtsaktion fließen direkt in die Agenda für das erste Quartal 2026. In diesem Jahr soll die Integration der Vitesco-Systeme weiter voranschreiten. Die Fähigkeit des Betriebsrats, mit einer Stimme zu sprechen – ob digital oder auf dem Werkshof – wird entscheidend sein. Nur so kann das Unternehmen im harten Transformationswettlauf der Autoindustrie das Vertrauen seines wertvollsten Kapitals bewahren: der Menschen, die es antreiben.

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