MAN und Stahlkrise: Betriebsräte fordern Qualifizierung statt Massenentlassungen
24.11.2025 - 12:00:12Die digitale Transformation sollte Arbeitsplätze verändern, nicht vernichten – so lautete das Versprechen. Doch die vergangenen Tage zeichnen ein anderes Bild: Während Industriekonzerne drastische Kürzungen ankündigen, gehen Betriebsräte und Gewerkschaften in die Offensive. Ihr Ziel: Das Recht auf Mitbestimmung nutzen, um Qualifizierungsstrategien durchzusetzen statt Massenentlassungen hinzunehmen.
Die Ereignisse zwischen Freitag und Montag offenbaren eine fundamentale Auseinandersetzung um die Zukunft der deutschen Industriearbeit. Von der Stahlgipfel-Debatte in Berlin bis zum Schock bei MAN – nirgendwo wird deutlicher, dass das Ideal „Wandel durch Weiterbildung” mit der harten Realität „Wandel durch Stellenabbau” kollidiert.
Am Freitag riss der Nutzfahrzeughersteller MAN die Belegschaft aus allen Träumen: Rund 2.300 Stellen sollen in Deutschland wegfallen. Die Ankündigung wirkt wie ein Menetekel für die gesamte Branche, die unter digitalem und strukturellem Wandel ächzt.
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Die Reaktion der Arbeitnehmervertreter war eindeutig. Karina Schnur, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei MAN, fand drastische Worte: Das Vorgehen der Geschäftsführung sei eine „Ohrfeige” für die Beschäftigten. „Das Management war zu keinem Zeitpunkt bereit, ernsthaft über Alternativen zu den Verlagerungsplänen zu diskutieren”, erklärte Schnur. Die viel beschworene Sozialpartnerschaft? An diesem Freitag lag sie in Scherben.
Auch die IG Metall übte scharfe Kritik. Statt die digitale Transformation zu nutzen, um Mitarbeiter für neue Aufgaben fit zu machen – eigentlich ein Kernelement moderner Mitbestimmung – setzt das Unternehmen offenbar auf Kostensenkung und Standortverlagerung. Für Betriebsräte bundesweit ist der Fall MAN ein Warnsignal: Ohne rechtlich durchsetzbare Qualifizierungsansprüche droht die „digitale Wende” zum bloßen Euphemismus für Personalabbau zu werden.
Stahlgipfel: Kampf ums wirtschaftliche Überleben
Während die Automobilbranche intern umstrukturiert, ringt die Stahlindustrie auf politischer Bühne um ihre Existenz. Am Freitag trafen sich in Berlin die Wirtschaftsvereinigung Stahl, die IG Metall und Vertreter mittelständischer Betriebe zu einem Spitzentreffen.
Im Zentrum stand die „grüne Transformation” – der Umbau zu klimaneutraler Produktion, der massive Digitalisierung und technische Weiterqualifizierung erfordert. Doch zunächst geht es um Grundsätzlicheres: die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit. In einem gemeinsamen Positionspapier warnte die Branche vor „akuten Wettbewerbsnachteilen” durch hohe Energiekosten.
„Ohne klare politische Antworten stehen Investitionen, Standorte und Zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel”, mahnte Gunnar Groebler, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Für die Betriebsräte bei Thyssenkrupp Steel und anderen Konzernen bedeutet das einen Spagat: Einerseits müssen sie die digitale und technische Qualifizierung der Belegschaft für neue wasserstoffbasierte Technologien vorantreiben. Andererseits kämpfen sie gegen Vorstands-Pläne, die Produktionskapazitäten grundlegend infrage stellen.
Der Freitags-Gipfel bekräftigte die Forderungen vom November-Stahlgipfel im Kanzleramt und erhöhte den Druck auf die Bundesregierung, den versprochenen „Industriestrompreis” noch dieses Jahr zu liefern.
„Mitbestimmen im Wandel”: Die Qualifizierungs-Offensive
Inmitten dieser Abwehrschlachten versuchen die Gewerkschaften, den Fokus auf die langfristige Lösung zu lenken: Qualifizierung. Am 20. November, kurz vor dem Wochenende, veröffentlichte die IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen einen Bericht über ihre jüngste Branchenkonferenz „Holz und Kunststoff”.
Unter dem Motto „Mitbestimmen im Wandel” diskutierten Betriebsräte, wie sie den digitalen Umbau aktiv gestalten können statt nur zu reagieren. Das Fazit war eindeutig: Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz bietet Werkzeuge – die müssen aber konsequent genutzt werden. Das Gesetz, das die Rechte von Betriebsräten bei Qualifizierungsmaßnahmen stärkte, gilt als entscheidender Hebel, um Szenarien wie bei MAN zu verhindern.
Experten auf der Konferenz betonten: Digitaler Stress und der Einsatz von KI sind nicht nur technische Fragen, sondern Themen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – und damit mitbestimmungspflichtig. Die Forderung lautet: Qualifizierungstarifverträge, die jedem Beschäftigten das Recht auf Weiterbildung für das digitale Zeitalter garantieren. Nur so könne „technischer Fortschritt zu sozialem Fortschritt werden”.
ver.di setzt Zeichen: Soziale Sicherheit als Transformations-Fundament
Auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mobilisiert und verknüpft digitale Transformation mit umfassender sozialer Stabilität. Am Freitag wurde Marion Paul mit überwältigender Mehrheit zur neuen Landesleiterin von ver.di Rheinland-Pfalz-Saarland gewählt. In ihrer Antrittsrede positionierte sie die Verteidigung des Sozialstaats und der Daseinsvorsorge als unverzichtbare Voraussetzung für erfolgreichen wirtschaftlichen Wandel.
„Wer Sozialstaat und Daseinsvorsorge schwächt, stärkt die Spalter”, erklärte Paul unmissverständlich. Ihre Wahl signalisiert eine Verhärtung der Gewerkschaftslinie vor den kritischen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst (TV-L), die am 3. Dezember beginnen. ver.di hat bereits am 17. November ihre Forderungen beschlossen: deutliche Lohnerhöhungen, um öffentliche Stellen angesichts des digitalen Fachkräftemangels attraktiv zu halten.
Darüber hinaus nutzte ver.di die Plattform am Freitag, um auf die soziale Dimension von Arbeitssicherheit hinzuweisen – unter anderem mit einer Stellungnahme zur Gewalt gegen Frauen. Auch wenn das Thema vom digitalen Diskurs abweicht, unterstreicht es ver.dis ganzheitlichen Ansatz für „Gute Arbeit”: Sicherheit – ob vor physischer Gewalt oder wirtschaftlicher Unsicherheit durch Automatisierung – ist zentral.
Ausblick: Heißer Winter für die Arbeitsbeziehungen
Die Ereignisse der vergangenen Tage haben jede Illusion zerstört, die digitale Transformation werde ein reibungsloser, selbstregulierender Prozess. Die Fronten sind klar.
Unmittelbare Aktionen: Die Betriebsräte bei MAN und Volkswagen dürften ihre Proteste in den kommenden Tagen verschärfen. Sie werden ihre Mitbestimmungsrechte nutzen, um Umbaupläne ohne Qualifizierungskomponente zu blockieren oder zu verzögern.
Politischer Druck: Das Ultimatum der Stahlindustrie vom Freitag legt den Ball klar ins Regierungslager. Energiepreisentlastungen müssen vor Jahresende kommen.
Verhandlungssaison: Mit dem Start der ver.di-Verhandlungen für den öffentlichen Dienst am 3. Dezember rückt die Frage in den Mittelpunkt, wie die menschliche Seite des digitalen Staates finanziert werden soll – bessere Bezahlung und Weiterbildung für IT- und Verwaltungspersonal.
Für Betriebsräte ist die Botschaft dieses Wochenendes eindeutig: Mitbestimmung bei der Qualifizierung ist kein „Nice-to-have” für Seminare mehr – sie ist die zentrale Verteidigungslinie gegen eine Welle transformationsbedingter Jobvernichtung.
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Quellen: IG Metall Pressemitteilungen (20.-21. November 2025), ver.di Landesbezirk RLP-Saarland (21. November 2025), Wirtschaftsvereinigung Stahl (21. November 2025), MAN Betriebsrat (21. November 2025)


