Gematik räumt Probleme ein: Deutsche E-Rezept-Infrastruktur am Limit
06.12.2025 - 00:12:12Die Telematikinfrastruktur ist instabil, ein Pilotprojekt zur digitalen Verschreibung floppt und ein drohender Krypto-Blackout im Januar gefährdet die Versorgung.
Das deutsche Gesundheitssystem erlebt diese Woche einen digitalen Realitätsschock. Die bundeseigene Gematik GmbH gesteht erstmals öffentlich gravierende Stabilitätsprobleme der Telematikinfrastruktur ein – während ein Pilotprojekt zur digitalen Verschreibung von Gesundheits-Apps krachend scheitert.
Für Ärzte und Apotheker bedeutet das: Der Alltag bleibt analog. Und ab Januar droht sogar ein Teil-Blackout.
Gematik bricht das Schweigen
Florian Hartge, Geschäftsbereichsleiter Produktion, Sicherheit und Betrieb bei Gematik, wählte auf dem Nationalen Symposium für Digitale Gesundheit in Berlin ungewohnt deutliche Worte. Er sei „ehrlich gesagt extrem unzufrieden” mit dem Zustand der Telematikinfrastruktur, zitiert ihn das Deutsche Ärzteblatt.
Hartge verglich die tägliche Nutzererfahrung vieler Mediziner mit einem Auto, das an jeder Ampel abgewürgt wird. „Wenn Ihnen das mehrmals täglich passiert – wie viel Spaß haben Sie dann am Fahren?” Seine Metapher trifft den Kern: Wiederkehrende Ausfälle bei E-Rezepten und elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben in Praxen bundesweit zu digitaler Erschöpfung geführt.
IT-Ausfälle und unsichere Schnittstellen gefährden längst nicht nur den Workflow, sondern auch Patientendaten. Das kostenlose E‑Book „Cyber Security Awareness Trends” fasst aktuelle Bedrohungen und pragmatische Schutzmaßnahmen zusammen – speziell geeignet für kleine Einrichtungen und Arztpraxen: Priorisierte Hardening‑Schritte, Anti‑Phishing‑Checks und Notfall-Backup‑Strategien. So können Sie kurzfristig Ausfallrisiken und Datenverlust reduzieren. Kostenloses Cyber-Security-E-Book für Praxen herunterladen
Die Agentur verspricht zwar Verbesserungen „im Rahmen unserer Möglichkeiten”. Doch viele technische Störungen entstünden bei Industriepartnern und Dienstleistern, die Konnektoren und Gateways betreiben – nicht in der zentralen Software selbst. Ein Fingerzeig nach außen, der aufhorchen lässt.
DiGA-Pilotprojekt floppt dramatisch
Noch ernüchternder fällt die Bilanz eines kürzlich abgeschlossenen Feldversuchs aus. Das Pilotprojekt „DiGA via E-Rezept” in Hamburg sollte zeigen, wie digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) vollständig elektronisch verschrieben und eingelöst werden können. Das Ergebnis? Ein Desaster.
Von Mai bis September 2025 wurden 119 DiGA-E-Rezepte ausgestellt. Gerade einmal 15 wurden digital eingelöst – eine Quote von 12,6 Prozent, wie die „Apotheke Adhoc” heute berichtet. Weitere 13 Rezepte landeten als Papierausdruck in der Apotheke.
Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV) zieht ein vernichtendes Fazit: Die digitale Variante biete „keine Vorteile” gegenüber dem herkömmlichen Papierformular Muster 16, bei dem 50 bis 70 Prozent der Verschreibungen tatsächlich eingelöst werden. Warum sollten Ärzte und Patienten also umsteigen?
Kryptografie-Krise: Kommt der Januar-Blackout?
Doch die akuten Probleme sind nur die Spitze des Eisbergs. In weniger als vier Wochen steht das System vor einer existenziellen technischen Hürde.
Bis zum 31. Dezember muss die Telematikinfrastruktur von der veralteten RSA-2048-Verschlüsselung auf den moderneren Standard Elliptic Curve Cryptography (ECC) umgestellt werden. Über 50.000 elektronische Heilberufsausweise (eHBA) und zahllose Konnektoren sind jedoch noch nicht aufgerüstet, warnt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV).
Die Konsequenz? Ab dem 1. Januar 2026 wären betroffene Praxen technisch von der TI abgeschnitten – kein E-Rezept, keine eAU. Faktisch eine Rückkehr zu Papier und Fax für einen erheblichen Teil der ambulanten Versorgung.
Kompetenzkampf verschärft die Lage
Als wäre das nicht genug, verschärft sich parallel der Streit zwischen den Akteuren. Die KBV attackierte heute die geplante Apothekenreform der Bundesregierung scharf. Impfungen und eigenständige Arzneimittelabgabe durch Apotheker seien eine „gefährliche Kompetenzverschiebung”, heißt es aus der ärztlichen Standesvertretung.
Dieser Konflikt zwischen Ärzten und Apothekern belastet ein System zusätzlich, das ohnehin unter technischen Schulden ächzt.
Was jetzt passieren muss
Die kommenden Wochen werden entscheidend. Beobachter rechnen damit, dass das Bundesgesundheitsministerium eine Fristverlängerung für die Krypto-Migration gewähren könnte – um ein Teil-Blackout im Januar zu verhindern.
Gleichzeitig muss Gematik die TI stabilisieren und den DiGA-Verschreibungsprozess grundlegend überarbeiten. Ohne spürbare Verbesserungen bei Zuverlässigkeit und Benutzerfreundlichkeit rückt das ehrgeizige Ziel eines volldigitalisierten deutschen Gesundheitswesens bis 2030 in weite Ferne.
Die Empfehlung an Ärzte und Apotheker lautet derzeit: analoge Backup-Systeme vorhalten. Dass diese Warnung Ende 2025 noch nötig ist, sagt alles über den Zustand der digitalen Transformation im deutschen Gesundheitswesen.
PS: Praktische Sofortmaßnahmen helfen, die größten Risiken vor der Januar‑Deadline zu reduzieren. Der Gratis‑Report liefert eine Checkliste für Konnektoren, eHBA-Tests und schnelle Konfigurationsschritte sowie eine Prioritätenliste, mit der kleine Praxen in Tagen ihre Sicherheit und Verfügbarkeit deutlich erhöhen können – ohne teure Neueinstellungen. Gratis-Report: Cyber-Security-Trends & Sofortmaßnahmen herunterladen


