EUDR: Hunderttausende Unternehmen im Ungewissen
17.11.2025 - 14:17:12Kurz vor Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung herrscht bei 370.000 deutschen Betrieben maximale Unsicherheit. Kompromissvorschläge bieten teilweise Aufschübe, doch politische Einigung fehlt.
Die Uhr tickt – und niemand weiß genau, was gilt. Weniger als sechs Wochen vor Inkrafttreten der EU-Entwaldungsverordnung herrscht in Europas Wirtschaft Alarmstimmung. Während die EU-Kommission mit einem Kompromissvorschlag beschwichtigen will, fordern Verbände und Mitgliedstaaten mehr Zeit. Für schätzungsweise 370.000 deutsche Betriebe bedeutet das vor allem eines: maximale Unsicherheit.
Ein Beschluss des EU-Parlaments vom 13. November hält die Tür für eine Last-Minute-Verschiebung offen. Doch eine endgültige Entscheidung? Fehlanzeige. Das Geschäftsrisiko steigt täglich – und die Nervosität in den Vorstandsetagen wächst proportional dazu.
Ambitioniertes Ziel trifft auf komplexe Realität
Die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten gilt als Meilenstein im Kampf gegen globale Abholzung. Kaffee, Kakao, Holz, Kautschuk, Rindfleisch – kein Produkt soll mehr in der EU verkauft werden dürfen, wenn dafür nach 2020 Waldflächen gerodet wurden. Das Ziel ist ehrenwert, die praktische Umsetzung allerdings eine Herkulesaufgabe.
Für viele Importeure ist die EU-Entwaldungsverordnung eine existenzielle Herausforderung. Unklare Vorgaben, die Pflicht zur Rückverfolgbarkeit bis zum Grundstück und ein noch nicht voll funktionsfähiges IT-System erhöhen das Risiko von Sanktionen – und betreffen nach Schätzung 370.000 deutsche Betriebe. Unser kostenloses E‑Book erklärt kompakt die neuen Prüf- und Sorgfaltspflichten, liefert eine praxisnahe Checkliste zur schnellen Betroffenheitsprüfung und zeigt die ersten Schritte zur Absicherung Ihrer Lieferkette. Kostenloses E-Book und Checkliste herunterladen
Denn die Verordnung verlangt von Importeuren, die Herkunft ihrer Rohstoffe bis zum exakten Grundstück zurückzuverfolgen. Bei Kaffee oder Kakao von tausenden Kleinbauern? Eine schier unmögliche Aufgabe, klagen betroffene Unternehmen. Hinzu kommen unklare Vorgaben und ein IT-System, das noch nicht voll funktionsfähig ist.
Kommissionsvorschlag: Aufschub nur für die Kleinen
Am 21. Oktober legte die EU-Kommission einen Kompromiss vor, der gezielt Erleichterungen vorsieht – ohne jedoch alle Beteiligten zufriedenzustellen.
Die Kernpunkte:
- Kein Generalaufschub für mittlere und große Unternehmen – Starttermin bleibt der 30. Dezember 2025
- Sechsmonatige Gnadenfrist bis zum 30. Juni 2026: keine Kontrollen, keine Sanktionen bei Verstößen
- Ein Jahr Aufschub für Klein- und Kleinstunternehmen bis zum 30. Dezember 2026
- Vereinfachte Sorgfaltspflichten: Nur noch das Unternehmen, das ein Produkt erstmals in der EU in Verkehr bringt, muss eine vollständige Sorgfaltserklärung einreichen
Nachgelagerte Betriebe in der Lieferkette – etwa Druckereien, die ihr Papier innerhalb der EU beziehen – wären von dieser Pflicht befreit. Sie müssten lediglich die Referenznummern der ursprünglichen Erklärung weitergeben.
Grundsätzlicher Widerstand aus Berlin und Wien
Doch die Kritik reißt nicht ab. Beim EU-Umweltrat Anfang November forderte Österreich eine pauschale Verschiebung um ein Jahr. Das deutsche Bundeslandwirtschaftsministerium bezeichnete den Kommissionsvorschlag gar als „nicht akzeptabel”.
Der Grund: Eine zentrale Forderung wurde ignoriert. Deutschland fordert die Einführung einer „Null-Risiko-Kategorie” für Länder und Regionen mit nachweislich keiner Entwaldung. Eine solche Kategorie würde den bürokratischen Aufwand für Importe aus nachhaltig bewirtschafteten Gebieten – wie der europäischen Forstwirtschaft – drastisch reduzieren.
Die politische Lage bleibt zerfahren. Eine schnelle Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament? Derzeit nicht in Sicht.
Wirtschaft zwischen Erleichterung und neuer Bürokratie
Die vorgeschlagenen Änderungen spalten die Wirtschaft. Einerseits begrüßen Verbände die Entlastung für nachgelagerte Unternehmen. Andererseits warnt der Bundesverband Druck und Medien (BVDM) vor neuen bürokratischen Hürden.
Die Verwaltung von hunderten oder gar tausenden Referenznummern für Produkte könnte den administrativen Aufwand sogar erhöhen statt verringern. Viele Unternehmen, die seit Monaten personelle und finanzielle Ressourcen in die EUDR-Vorbereitung investiert haben, fühlen sich im Stich gelassen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) betont: Für die geschätzten 370.000 betroffenen deutschen Unternehmen ist dringend Klarheit erforderlich. Solange der Kommissionsvorschlag nicht final beschlossen ist, gilt weiterhin der ursprüngliche Stichtag – mit allen Konsequenzen.
Umweltverbände: Jede Verzögerung kostet Bäume
Während die Wirtschaft nach Aufschub ruft, warnen Umweltorganisationen wie der WWF eindringlich vor jeder Verzögerung. Jeder verlorene Monat bedeute Millionen zusätzlich abgeholzter Bäume, argumentieren die Umweltschützer.
Der Konflikt könnte kaum deutlicher sein: ambitionierte Klimapolitik trifft auf die Komplexität globaler Lieferketten. Wer hat recht? Beide Seiten haben nachvollziehbare Argumente – doch eine Lösung, die allen gerecht wird, scheint unerreichbar.
Drei Szenarien für die kommenden Wochen
Die endgültige Abstimmung im Europäischen Parlament wird für die Woche ab dem 24. November erwartet. Dann zeigt sich, welchen Weg die EU einschlägt.
Szenario 1: Annahme des Kommissionsvorschlags
Gnadenfrist für große Unternehmen, Aufschub für Kleinbetriebe – ein Mittelweg, der niemanden wirklich zufriedenstellt.
Szenario 2: Ablehnung und Status quo
Die Verordnung tritt wie geplant am 30. Dezember in Kraft – mit chaotischen Folgen, da zentrale Fragen ungeklärt bleiben.
Szenario 3: Neuer Kompromiss
Eine weitergehende Verschiebung oder substanziellere Vereinfachungen könnten beschlossen werden, um den Bedenken von Wirtschaft und Mitgliedstaaten stärker Rechnung zu tragen.
Für Europas Wirtschaft bleibt es eine Zitterpartie. Die Zeit bis zum Stichtag verrinnt unaufhaltsam – und mit jedem Tag wächst die Forderung nach einer praxistauglichen Lösung. Ob die EU-Politik sie rechtzeitig liefern kann, ist mehr als fraglich.
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