Brüsseler, Omnibus-Paket

Brüsseler Omnibus-Paket: KI-Verordnung vor Aufweichung?

16.11.2025 - 13:39:12

Kaum ist die europäische KI-Verordnung in Kraft, plant Brüssel bereits den Rückzug. Ein durchgesickerter Gesetzesentwurf könnte zentrale Schutzbestimmungen deutlich abschwächen – und wirft die Frage auf: Opfert Europa den Grundrechtsschutz auf dem Altar der Wirtschaftsförderung?

Die Ironie könnte größer kaum sein: Während Unternehmen fieberhaft versuchen, die komplexen Anforderungen der weltweit ersten umfassenden KI-Regulierung zu verstehen, schickt sich die EU-Kommission offenbar an, deren Kernbestimmungen wieder zu entschärfen. Der sogenannte „Digitale Omnibus” – ein bürokratisch klingender Name für ein politisch brisantes Vorhaben – soll am 19. November offiziell vorgestellt werden. Doch was bereits vorab durchsickerte, versetzt Datenschützer in Alarmbereitschaft.

Besonders brisant: Unternehmen könnten künftig eigenmächtig entscheiden, ob ihre KI-Anwendungen als hochriskant einzustufen sind oder nicht. Eine öffentliche Kontrolle? Fehlanzeige. Was zunächst nach pragmatischer Entbürokratisierung klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Freifahrtschein. Digitalcourage und andere Bürgerrechtsorganisationen sprechen bereits von einem „Kniefall vor der Wirtschaftslobby”.

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Hinzu kommt eine weitere heikle Neuerung: Das Training von KI-Modellen mit personenbezogenen Daten soll auf Basis eines „berechtigten Interesses” der Unternehmen erlaubt werden. Die explizite Einwilligung der Nutzer? Nicht mehr zwingend erforderlich. Ein Paradigmenwechsel, der die Datenschutz-Grundverordnung faktisch aushebeln würde.

Fristen und Strafen bleiben – vorerst

Ungeachtet der politischen Turbulenzen tickt die Uhr der bestehenden Verordnung weiter. Seit Februar 2025 sind bestimmte KI-Anwendungen bereits verboten – etwa staatliches Social Scoring. Der nächste große Meilenstein folgt im August 2026, wenn die vollständigen Anforderungen für Hochrisiko-Systeme greifen. Wer dagegen verstößt, dem drohen drakonische Strafen: bis zu 35 Millionen Euro oder sieben Prozent des weltweiten Jahresumsatzes.

Doch was nützen hohe Strafandrohungen, wenn die Regelungen gleichzeitig aufgeweicht werden? Diese Frage dürfte in den kommenden Wochen die Gemüter erhitzen.

Der Mittelstand zwischen allen Stühlen

Besonders kleine und mittlere Unternehmen stehen vor einem Dilemma. Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeichnet ein deutliches Bild: Die regulatorische Belastung durch KI-Verordnung, NIS-2-Richtlinie und Cyber Resilience Act wird für viele KMU zur Zerreißprobe. Die Bundesnetzagentur versucht mit Angeboten wie dem „KI-Service Desk” gegenzusteuern und bietet am 19. November sogar eine digitale Sprechstunde unter dem charmanten Titel „Coffee with the regulator” an.

Doch kann eine Behörde wirklich helfen, wenn die politische Großwetterlage so unbeständig ist? Unternehmen müssen sich heute auf Regeln vorbereiten, die morgen vielleicht schon Geschichte sind.

Zwischen Innovation und Grundrechten

Der „Digitale Omnibus” offenbart ein fundamentales Spannungsfeld europäischer Digitalpolitik. Auf der einen Seite steht der Ehrgeiz, im globalen KI-Wettlauf nicht abgehängt zu werden. Die EU-Strategie „KI-anwenden” soll Künstliche Intelligenz in Wirtschaft und Verwaltung beschleunigen. Auf der anderen Seite hatte sich Europa gerade erst zum Vorreiter einer menschenzentrierten, vertrauenswürdigen KI erklärt.

Was wiegt nun schwerer: wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit oder der Schutz digitaler Grundrechte? Die Antwort, die Brüssel in den kommenden Wochen gibt, wird weitreichende Folgen haben – weit über Europas Grenzen hinaus.

Ein Richtungsentscheid steht bevor

Die offizielle Präsentation des Omnibus-Pakets am 19. November wird zeigen, ob die EU-Kommission an ihren Lockerungsplänen festhält. Die anschließenden Debatten im Europäischen Parlament und zwischen den Mitgliedstaaten werden wegweisend sein. Parallel arbeitet das Europäische KI-Büro weiter an Leitlinien für Basismodelle – als würde nichts geschehen.

Für Unternehmen bleibt die Lage kafkaesk: Sie sollen sich auf Regeln vorbereiten, deren Fundament gerade neu verhandelt wird. Ob Europa seinen selbst gewählten Weg als KI-Regulierungsvorreiter fortsetzt oder einen wirtschaftsfreundlicheren Kurs einschlägt – die Antwort darauf könnte die digitale Zukunft des Kontinents für Jahre prägen.

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