Betriebsrat, Richtungsweisende

Betriebsrat: Richtungsweisende Urteile erschüttern Arbeitsrecht

02.12.2025 - 06:49:12

Zwei wegweisende Gerichtsurteile setzen neue Maßstäbe im deutschen Betriebsverfassungsrecht. Das Bundesarbeitsgericht stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten bei Überstundenvergütung, während das OLG Frankfurt eine Geschäftsführung wegen überhöhter Betriebsratsvergütung fristlos entließ. Unternehmen müssen jetzt handeln.

Die Entscheidungen vom 26. und 27. November 2025 zwingen Personalabteilungen und Betriebsräte bundesweit zur Neubewertung ihrer Praxis. Im Fokus stehen zwei Kernfragen: Wie werden Mitbestimmungsrechte bei Lohnstrukturen umgesetzt? Und welche Compliance-Anforderungen gelten für die Zusammenarbeit zwischen Management und Arbeitnehmervertretern?

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat mit seinem Urteil vom 26. November 2025 (Az: 5 AZR 118/23 und 5 AZR 155/22) die Vergütungspraxis für Überstunden grundlegend verändert. Die Auswirkungen auf die Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG sind erheblich.

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Bislang sahen Tarifverträge im Einzel- und Großhandel vor: Überstundenzuschläge gibt es erst nach Überschreiten der regulären Vollzeitarbeitszeit – typischerweise 37,5 oder 40 Wochenstunden. Teilzeitkräfte konnten ihre vertraglichen Stunden deutlich überschreiten, ohne die Zuschläge zu erhalten, die Vollzeitbeschäftigte für vergleichbare Mehrbelastungen bekamen.

Der fünfte Senat des BAG erklärte diese Praxis für diskriminierend und unvereinbar mit § 4 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG). Die Richter stellten klar: Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf Überstundenzuschläge, sobald sie ihre individuellen Vertragsstunden in demselben Verhältnis überschreiten wie Vollzeitbeschäftigte.

Was bedeutet das für die Mitbestimmung?

Betriebsräte müssen jetzt aktiv werden. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG haben sie ein Mitbestimmungsrecht bei betrieblichen Lohnstrukturen. Das BAG-Urteil macht die Überprüfung aller bestehenden Betriebsvereinbarungen zu Überstunden und flexiblen Arbeitszeiten faktisch zur Pflicht.

Betriebsräte können – und sollten – Anpassungen interner Vergütungsrichtlinien fordern, um die vom BAG identifizierte Diskriminierung zu beenden. Wer untätig bleibt, riskiert erhebliche Nachzahlungsforderungen. Die Gewerkschaft ver.di begrüßte die Entscheidung umgehend: Die ungleiche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten bei Arbeitsbelastungen sei nicht zu rechtfertigen.

OLG Frankfurt: Gefängnis oder Freiheit? Die teure Vetternwirtschaft

Während das BAG Arbeitnehmerrechte stärkte, erteilte das Oberlandesgericht Frankfurt der Unternehmensführung eine harte Lektion zum Umgang mit Betriebsratsmitgliedern. In einem am 27. November 2025 bekannt gewordenen Urteil (Az: 5 U 15/24) bestätigte das Gericht die fristlose Kündigung eines Geschäftsführers, der überhöhte Gehaltserhöhungen für Betriebsratsmitglieder genehmigt hatte.

Der Fall betraf den Geschäftsführer eines kommunalen Verkehrsbetriebs, der Gehaltssteigerungen für Betriebsratsmitglieder abgesegnet hatte, die objektiv nicht gerechtfertigt waren. Damit verstieß er gegen das Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG.

Keine Ausreden mehr für die Chefetage

Entscheidend: Das Gericht wies die Verteidigung des Managers zurück, er sei nicht direkt für die Personalabteilung verantwortlich gewesen. Die Richter stellten unmissverständlich klar: Die Überwachung der Einhaltung des Betriebsverfassungsgesetzes ist Kernaufgabe der gesamten Geschäftsführung.

Bei “verdächtigen” Gehaltssprüngen für Betriebsratsmitglieder gilt: Wegschauen ist keine Verteidigung, sondern eine Pflichtverletzung, die eine fristlose Kündigung rechtfertigt. Das Urteil unterstreicht die kritische Bedeutung der BetrVG-Novelle von 2024, die mehr Rechtssicherheit bei der Betriebsratsvergütung schaffen sollte.

Die Änderungen der §§ 37 und 78 BetrVG stellten klar: Die Bezahlung von Betriebsräten muss sich an vergleichbaren Beschäftigten mit “standardmäßigem” Karriereverlauf orientieren.

Sofortmaßnahmen: Was Unternehmen jetzt tun müssen

Während Unternehmen diese beiden Entwicklungen verdauen, verschiebt sich die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes von theoretischen Debatten zu dringenden Compliance-Prüfungen.

1. Überstundenregelungen auf dem Prüfstand

Betriebsräte und Personaldirektoren müssen umgehend ihre Abrechnungssysteme überprüfen. Wenn eine Betriebsvereinbarung mit statischen Schwellenwerten arbeitet (“Überstunden beginnen ab Stunde 40”) für alle Beschäftigten, ist sie nach dem BAG-Urteil für Teilzeitkräfte wahrscheinlich nichtig. Neue Vereinbarungen müssen dynamische, individuell angepasste Schwellenwerte implementieren.

2. Dokumentation der Betriebsratsvergütung

Angesichts des OLG-Frankfurt-Urteils sollten Unternehmen die Mitte 2024 eingeführten Dokumentationspflichten neu bewerten. Das Gesetz erlaubt eine Verfahrensvereinbarung (Betriebsvereinbarung) zur Definition der “Vergleichsgruppen” für die Betriebsratsvergütung.

Handlungsbedarf: Falls eine solche Vereinbarung nicht existiert, sollte sie unverzüglich verhandelt werden. Sie schafft einen verbindlichen, transparenten Standard, der Betriebsratsmitglieder vor Begünstigungsvorwürfen und das Management vor Haftungsrisiken schützt.

3. Schulungen und Sensibilisierung

Das Haftungsrisiko für Führungskräfte beschränkt sich nicht auf die Personalabteilung. Vorstände müssen informiert werden, dass BetrVG-Compliance eine kollektive Verantwortung ist. Unwissenheit über die spezifischen Verbote des § 78 BetrVG ist keine tragfähige Verteidigung mehr gegen eine Kündigung.

Kontext: Ein Jahr der Klarstellung

Die Ereignisse Ende 2025 markieren den Höhepunkt einer zweijährigen Phase intensiver rechtlicher Prüfung des deutschen dualen Governance-Systems. Nach dem “VW-Gehaltsskandal”, der die Gesetzesreformen 2024 auslöste, definiert die Justiz nun die Grenzen dieser neuen Gesetze.

Rechtsexperten sehen einen Trend zur “Compliance-first”-Haltung in den Arbeitsbeziehungen. Die Zeiten informeller “Handschlag-Deals” zwischen mächtigen Betriebsratsvorsitzenden und dem Management neigen sich dem Ende zu. Das OLG-Frankfurt-Urteil signalisiert: Die Justiz betrachtet das Betriebsverfassungsgesetz nicht nur als Rechtesammlung, sondern als strikten Regelungsrahmen, bei dem Verstöße schwerwiegende persönliche Konsequenzen für Unternehmensführer haben.

Umgekehrt zeigt das BAG-Urteil: Das Gericht bleibt robuster Hüter der inhaltlichen Arbeitsrechte und stellt sicher, dass die Modernisierung der Arbeitswelt (etwa die Zunahme von Teilzeitmodellen) nicht zur Aushöhlung fairer Vergütungsstandards führt.

Ausblick 2026: KI und digitale Mitbestimmung

Die Arbeitsrechtsdebatte verschiebt sich bereits zur digitalen Modernisierung des Betriebsverfassungsgesetzes. Nachdem die unmittelbaren Fragen zu Vergütung und Teilzeitrechten nun juristisch geklärt sind, wird die nächste Grenze 2026 voraussichtlich die Integration von KI am Arbeitsplatz sein.

Der Druck wächst für ein “Digitales Zugangsrecht” der Gewerkschaften – ein Thema, das 2025 intensiv diskutiert wurde. Betriebsräte fordern klarere Mitbestimmungsrechte bei der Einführung Künstlicher Intelligenz. Sie befürchten, dass die aktuellen Bestimmungen des § 87 BetrVG für das Zeitalter des algorithmischen Managements unzureichend sind.

Doch die Botschaft bleibt klar: Compliance ist Trumpf. Ob bei der Berechnung der Überstunden einer Teilzeitkraft oder der Genehmigung des Gehalts eines Betriebsratsvorsitzenden – die Gerichte fordern Präzision, Transparenz und strikte Einhaltung des Betriebsverfassungsgesetzes.

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