BAG-Urteil: Mindest-Urlaubsanspruch bleibt unantastbar
17.11.2025 - 14:00:12Das Bundesarbeitsgericht stärkt Arbeitnehmerrechte massiv: Selbst vor Gericht geschlossene Vergleiche dürfen den gesetzlichen Mindesturlaub nicht aushebeln. Was bedeutet das für Aufhebungsverträge?
Ein wegweisendes Urteil aus Erfurt dürfte HR-Abteilungen bundesweit zum Umdenken zwingen. Die höchsten Arbeitsrichter haben klargestellt: Der gesetzliche Mindesturlaub ist keine Verhandlungsmasse – auch nicht in Aufhebungsverträgen. Wer seinen Job verliert, behält das Recht auf Vergütung nicht genommener Urlaubstage. Punkt.
Die Entscheidung (Az. 9 AZR 104/24) räumt mit einer jahrzehntelangen Praxis auf. Standardklauseln wie „Urlaubsansprüche sind in Natur gewährt” sind bei gesetzlichem Mindesturlaub ab sofort unwirksam – selbst wenn beide Parteien zustimmen und ein Arbeitsgericht den Vergleich absegnet.
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Im Zentrum stand ein Betriebsleiter, der von 2019 bis April 2023 beschäftigt war. Anfang 2023 erkrankte er und fiel bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses aus. Sieben Tage gesetzlicher Mindesturlaub blieben ungenutzt.
Im März 2023 einigten sich die Parteien vor Gericht: 10.000 Euro Abfindung, dazu die übliche Formulierung zum Urlaub. Obwohl sein Anwalt Bedenken äußerte, unterschrieb der Mitarbeiter. Nach dem offiziellen Ausscheiden klagte er trotzdem – und bekam Recht.
Die geforderten 1.615,11 Euro plus Zinsen sprachen ihm bereits die Vorinstanzen zu. Das BAG wies die Revision des Arbeitgebers nun endgültig ab.
Warum die Richter so entschieden
Die Begründung ist glasklar: § 13 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verbietet Vereinbarungen zulasten des Arbeitnehmers. Der gesetzliche Mindesturlaub ist während des laufenden Arbeitsverhältnisses nicht verhandelbar – auch nicht sein finanzieller Ausgleich bei Beendigung.
Die Klausel im Vergleich verstoße gegen § 134 BGB und sei damit nichtig, so die Richter. Weder das Urlaubsrecht selbst noch der künftige Anspruch auf Abgeltung könnten vorab wegverhandelt werden.
Zusätzlich beriefen sich die Richter auf EU-Recht: Artikel 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) untersagt ausdrücklich, Mindesturlaub durch Geld zu ersetzen – außer das Arbeitsverhältnis endet. Das Argument des Arbeitgebers, der Mitarbeiter handle treuwidrig? Abgeschmettert. Niemand dürfe sich auf eine „offensichtlich rechtswidrige” Klausel verlassen.
Was sich jetzt ändern muss
Tausende Aufhebungs- und Abwicklungsverträge enthalten pauschale Verzichtsklauseln. Diese Praxis ist nun Geschichte – zumindest beim gesetzlichen Mindesturlaub. Vertraglich vereinbarter Zusatzurlaub bleibt weiterhin verhandelbar.
- Pauschale Verzichtsklauseln streichen: Formulierungen, die suggerieren, gesetzlicher Urlaub sei „genommen” oder „abgegolten”, sind rechtswidrig.
- Urlaubsarten trennen: Gesetzlicher Mindesturlaub und vertraglicher Mehrurlaub müssen klar unterschieden werden.
- Timing beachten: Urlaubsabgeltung ist erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses zulässig.
- Dokumentation verbessern: Lückenlose Aufzeichnung genommener Urlaubstage wird zur Pflicht.
Besonders heikel: Die verbreitete Praxis, Mitarbeiter während der Kündigungsfrist freizustellen und dies auf den Resturlaub anzurechnen. Diese Gestaltung steht nun unter verschärfter Beobachtung.
Praxisfolgen: Neue Spielregeln für HR
Die Entscheidung stärkt Arbeitnehmer massiv – besonders bei Langzeiterkrankungen oder strittigen Trennungen. Erholung und Regeneration dürfen nicht zur Verhandlungsmasse in Abfindungsgesprächen werden.
Für Arbeitgeber bedeutet das: mehr Aufwand, mehr Präzision, potenziell höhere Kosten. Wer bei der Vertragsgestaltung schlampig arbeitet, riskiert Nachforderungen. Die Urlaubsabgeltung muss künftig als eigenständige Transaktion behandelt werden – getrennt von Abfindungszahlungen und erst nach offiziellem Ausscheiden.
Rechtsabteilungen stehen vor der Aufgabe, sämtliche Musterverträge zu überarbeiten. Die Zeit der Allzweck-Klauseln ist vorbei.
Deutsche Tradition trifft EU-Recht
Das Urteil fügt sich in eine Reihe jüngerer BAG-Entscheidungen, die Arbeitnehmerrechte konsequent hochhalten. Es harmonisiert deutsches Arbeitsrecht mit EU-Vorgaben und setzt ein deutliches Signal: Grundlegende Schutzrechte sind nicht verhandelbar.
Die Kernbotschaft an Unternehmen lautet: Transparenz statt Trickserei. Wer Mitarbeiter verabschiedet, muss deren Urlaubsansprüche sauber abrechnen – ohne Vermischung mit anderen Zahlungen, ohne Pauschalverzichte, ohne Grauzonen.
Ob die Entscheidung auch Auswirkungen auf andere Arbeitnehmerrechte haben wird? Das bleibt abzuwarten. Sicher ist: Die Messlatte liegt jetzt höher.
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