BAG, Mitbestimmungsrecht

BAG: Kein Mitbestimmungsrecht bei Abschaffung bezahlter Pausen

17.11.2025 - 13:52:12

Bundesarbeitsgericht entscheidet: Betriebsrat hat bei Abschaffung bezahlter Pausen kein Mitbestimmungsrecht, doch Tarifverträge genießen Vorrang vor Betriebsvereinbarungen.

Erfurt: Ein Arbeitgeber darf bezahlte Pausen abschaffen – aber nicht ohne weiteres. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer wegweisenden Entscheidung die Grenzen betrieblicher Mitbestimmung neu vermessen. Das Urteil bringt Klarheit in eine brisante Frage: Wer entscheidet eigentlich darüber, ob Pausen bezahlt werden oder nicht?

Die Antwort der Erfurter Richter ist differenziert und wird sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsräte aufhorchen lassen. Denn während das BAG dem Betriebsrat bei der grundsätzlichen Abschaffung bezahlter Pausen die Mitbestimmung verwehrt, zieht es gleichzeitig eine klare rote Linie: Tarifverträge gehen vor. Ein einfacher Kompromiss zwischen Chef und Betriebsrat reicht nicht aus, um tariflich geschützte Ansprüche auszuhebeln.

Der Fall: Wenn das Frühstück plötzlich unbezahlt wird

Am Anfang stand eine 15-minütige Frühstückspause. Ein Werkstattmeister bei einem kommunalen Verkehrsbetrieb hatte jahrelang wie seine Kollegen diese bezahlte Auszeit genossen – eine betriebliche Übung, die zum festen Bestandteil des Arbeitsalltags geworden war. 2018 kam der Schnitt: Arbeitgeber und Betriebsrat einigten sich auf eine neue Betriebsvereinbarung zur “Umstrukturierung und Konsolidierung”. Das Ergebnis? Die bezahlte Pause sollte mit sofortiger Wirkung entfallen.

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Doch der Meister wollte das nicht hinnehmen. Seine Argumentation: Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen seine über Jahre erworbenen Rechte. Zudem greife sie in Regelungen ein, die bereits durch einen Tarifvertrag abgedeckt seien. Der Fall landete schließlich beim höchsten deutschen Arbeitsgericht.

Mitbestimmung ja – aber nicht überall

Das BAG zeichnet in seinem Urteil eine klare Trennlinie. Die Abschaffung einer bezahlten Arbeitsbefreiung fällt nicht unter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Diese Vorschrift gibt dem Betriebsrat zwar ein Wörtchen mitzureden bei “Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage”.

Doch hier geht es ums Geld, nicht um die Organisation. Die Richter argumentieren: Ob eine Pause bezahlt wird oder nicht, betrifft den Umfang der geschuldeten Arbeitsleistung und die Vergütung – nicht deren zeitliche Lage. Der Betriebsrat kann also nicht erzwingen, dass ein Arbeitgeber eine Pause weiterhin bezahlt. Kann er die Frühstückspause trotzdem retten?

Der Tarifvertrag als Schutzschild

Hier kommt die zweite Säule des Urteils ins Spiel – und die dürfte bei Arbeitgebern für weniger Jubel sorgen. Die Betriebsvereinbarung, mit der die Pause abgeschafft wurde, ist unwirksam. Der Grund liegt in § 77 Abs. 3 BetrVG, dem sogenannten Tarifvorrang. Dieser Grundsatz verhindert, dass Betriebsvereinbarungen Regelungen zu Entgelt oder Arbeitsbedingungen treffen, die bereits in einem Tarifvertrag geregelt sind – es sei denn, dieser erlaubt es ausdrücklich.

Im konkreten Fall enthielt der maßgebliche Tarifvertrag bereits Bestimmungen zu Arbeitsbefreiungen. Diese standen einer Regelung durch Betriebsvereinbarung entgegen. Mit anderen Worten: Selbst wenn der Betriebsrat zustimmt, können Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung nicht einfach über tarifvertragliche Schutzrechte hinweggehen.

Was bedeutet das für die Praxis?

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit, indem sie zwei Ebenen klar trennt: Das “Ob” einer bezahlten Pause ist eine Frage des Arbeitsvertrags oder Tarifvertrags. Das “Wann” und “Wie” unterliegt dagegen weiterhin der Mitbestimmung. Bisherige Urteile hatten bereits die starke Position des Betriebsrats bei der Ausgestaltung von Pausen bestätigt – etwa damit diese ihren Erholungszweck erfüllen können. Diese Macht bleibt unangetastet.

Für Betriebsräte bedeutet das Urteil: Bei der Frage bezahlter Pausen müssen sie sich auf andere Instrumente konzentrieren – Tarifverhandlungen oder direkte Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber. Ihr Mitbestimmungsrecht greift hier nicht.

Arbeitgeber wiederum sollten aufhorchen: Die vermeintliche Gestaltungsfreiheit hat enge Grenzen. Wer langjährige Praktiken ändern oder bezahlte Pausen streichen will, muss zunächst bestehende Tarifverträge und betriebliche Übungen genau prüfen. Sonst drohen langwierige und teure Rechtsstreitigkeiten.

Wie geht es weiter?

Das BAG hat den Fall zur erneuten Prüfung an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen zurückverwiesen. Die dortigen Richter müssen nun die konkreten Zahlungsansprüche des Meisters unter Berücksichtigung der Erfurter Rechtsgrundsätze bewerten.

Die Botschaft an die deutsche Arbeitswelt ist eindeutig: Auch mit Zustimmung des Betriebsrats lassen sich tarifvertragliche Regelungen nicht einfach umgehen. Unternehmen, die an etablierten Pausenregelungen rütteln wollen, sollten ihre rechtliche Hausaufgaben machen – sonst wird aus der geplanten Kosteneinsparung schnell ein juristischer Bumerang.

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