Außenpolitik aus einem Guss: Kanzler Friedrich Merz fordert angesichts einer immer aggressiveren Politik Chinas und Russlands sowie eines sich wandelnden Verhältnisses zu den USA eine neue Sicherheitsarchitektur für Deutschland und Europa.
08.09.2025 - 17:05:08Merz fordert neue internationale Sicherheitsarchitektur
"Was wir liberale Weltordnung genannt haben, steht nun von vielen Seiten unter Druck, auch im Inneren des politischen Westens", sagte der CDU-Chef bei der Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt, ohne die USA zu nennen. Nötig sei eine pragmatische Außen- und Sicherheitspolitik, die sich an den deutschen und europäischen Interessen orientiere. Genauso sieht das auch Außenminister Johann Wadephul (CDU).
Dass ein Kanzler eine Rede vor den Leiterinnen und Leitern der mehr als 220 deutschen Auslandsvertretungen hält, ist sehr selten. Zuletzt hat das im Jahr 2000 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der allerersten Botschafterkonferenz getan.
In einer Grundsatzrede warnte Merz, ein neuer Systemkonflikt sei aufgebrochen "zwischen liberalen Demokratien und einer Achse der Autokratien, die sich stützt und den offenen Systemwettbewerb zu unserer Demokratie geradezu sucht". Es entstünden neue revisionistische Allianzen, Krisen und Konflikte überlagerten sich, der Krieg sei nach Europa zurückgekehrt. Man stehe damit vor der historischen Aufgabe, "eine neue Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die, wenn es gut geht, für mehrere Jahrzehnte tragfähig sein sollte".
Merz weist Vorwurf zurück, er sei zu sehr Außenkanzler
Der Kanzler wies den Vorwurf zurück, mit seinen zahlreichen Auslandsreisen die Innenpolitik zu vernachlässigen. "Wir können nicht mehr von Innenpolitik und Außenpolitik sprechen wie von zwei fein säuberlich getrennten Sphären", sagte er. Deshalb überrasche ihn "der gelegentlich vernehmbare Vorwurf, ich würde mich zu stark mit der Außenpolitik beschäftigen". Das Engagement der Bundesregierung im Äußeren diene dazu, Freiheit, Frieden und Wohlstand im Inneren zu bewahren. Innen-, Wirtschafts-, Handels-, Verteidigungs- und Außenpolitik könnten nicht mehr getrennt voneinander gedacht werden, "ohne alles auch in eine außen- und sicherheitspolitische Dimension zu rücken".
Auslandsreisen jenseits des transatlantischen Raums
Für die kommenden Wochen kündigte der Kanzler eine Reihe von Reisen in Länder jenseits des transatlantischen Raums an. "Auch das soll ein Signal setzen im Sinne des Leitprinzips strategischer Partnerschaften", sagte er. Konkrete Reiseziele nannte Merz nicht. Dem Vernehmen nach steht in den kommenden Monaten aber etwa eine Indien-Reise an.
"Imperialistischer Plan Putins"
Mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin sagte Merz, es deute alles darauf hin, dass dessen "imperialistischer Plan nicht mit der Eroberung der Ukraine enden würde, sondern damit erst beginnen würde". In wachsender Intensität und Aggressivität erlebe man hybride Angriffe Russlands auch auf die deutsche Infrastruktur, beobachte man Provokationen in der Nord- und Ostsee und sehe, dass Russland und China sich in Südosteuropa Einflusssphären zu sichern versuchten. Es sei "keine politische Prosa", dass man mit der Ukraine die Freiheit in Europa verteidige, sagte der Kanzler, der der Ukraine anhaltenden Beistand zusagte: "Und dies kann noch eine sehr lange Zeit dauern."
"Systemrivalität mit China nimmt zu"
Zur deutschen China-Politik bekräftigte Merz, die Bundesregierung suche wo immer möglich die Zusammenarbeit, etwa in der Klimapolitik oder bei globalen Krisen. Zugleich nehme aber die Systemrivalität mit Peking zu. Für die Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands müsse es Priorität sein, die Rohstoff- und Handelsketten im Sinne einer strategischen Souveränität zu diversifizieren. Dafür seien mehr und engere Partnerschaften nötig - insbesondere mit Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Argentinien, aber auch mit Ländern in Lateinamerika, Afrika und Asien.
Merz: WTO dysfunktional - Für neues System von Handelsregeln
Angesichts der aggressiven Zoll- und Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump unterstrich der Kanzler, die Bundesregierung werde gemeinsam mit europäischen Partnern auch gegenüber den USA für ein System des regelgebundenen Freihandels werben. Dabei müsse man sich "eingestehen, dass etwa die Welthandelsorganisation WTO mittlerweile dysfunktional ist und ihre ursprüngliche Rolle nicht mehr erfüllen kann", sagte Merz. Nun sei Kreativität gefragt, um ein neues System von Handelsregeln zu errichten.
Lob für Wadephul: Starker Kompass
Ausdrücklich lobte Merz die Zusammenarbeit mit Außenminister Wadephul (CDU). Dieser habe das Amt bei hohem Wellengang übernommen. "Du hast in kürzester Zeit unter Beweis gestellt, dass Du mit Deinem starken Kompass der Richtige bist, dieses Haus in diesen Zeiten zu führen", sagte der Kanzler an den Minister gewandt, der in den ersten Monaten seiner Amtszeit mit Äußerungen gelegentlich auch Kritik in den eigenen Reihen ausgelöst hatte.