Arbeitszeiterfassung, Kanzleien

Arbeitszeiterfassung: Kanzleien steuern auf Compliance-Konflikt zu

25.12.2025 - 10:21:12

Deutsche Anwaltskanzleien starten mit ungelöstem Spannungsfeld ins neue Jahr. Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kollidiert mit der politischen Zusage zur Vertrauensarbeitszeit – und die versprochene gesetzliche Klarstellung bleibt aus.

Während am Donnerstag das Geschäftsjahr 2025 endet, stehen Rechtsanwaltskanzleien in Deutschland vor einem komplexen Compliance-Dilemma. Trotz der festlichen Ruhe am 25. Dezember beschäftigt Compliance-Verantwortliche und Geschäftsführer ein ungelöster Konflikt: das Spannungsfeld zwischen den strengen Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Arbeitszeiterfassung und den politischen Versprechen der Großen Koalition, die Vertrauensarbeitszeit zu bewahren.

Mit dem nahenden Jahreswechsel war der Druck auf Kanzleien, ihre internen Compliance-Strukturen zu professionalisieren, noch nie so hoch. Der traditionell „laissez-faire“-Umgang mit den Arbeitszeiten angestellter Berufsträger – traditionell als unabhängige Organe der Rechtspflege betrachtet – prallt zunehmend auf die rigiden Realitäten des Arbeitsschutzrechts.

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Das politische Jahr 2025 wurde von der Rückkehr der Großen Koalition (CDU/CSU und SPD) nach der Bundestagswahl am 23. Februar geprägt. Der im Mai unterzeichnete Koalitionsvertrag „Verantwortung für Deutschland“ enthielt ein konkretes Signal für Rechts- und Beratungsberufe.

Die Koalition bekräftigte darin ihr Ziel, Vertrauensarbeitszeit so zu gestalten, dass „flexibles Arbeiten ohne bürokratische Minutenerfassung“ möglich bleibt – natürlich im Einklang mit EU-Recht. Viele Kanzleien deuteten dies als mögliche Ausnahme oder „Light“-Version der Erfassungspflicht für hochbezahlte, autonome Professionals wie angestellte Anwälte und Steuerberater.

Doch bis Ende Dezember 2025 hat sich diese politische Absichtserklärung nicht in einen wasserdichten gesetzlichen Schutz umgewandelt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) steht vor der Herausforderung, ein Gesetz zu formulieren, das sowohl die Deregulierungsversprechen der Koalition erfüllt als auch die bindende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) berücksichtigt.

Folglich bestimmt weiterhin das Grundsatzurteil des BAG vom September 2022 den rechtlichen Status quo. Es verpflichtet Arbeitgeber zur Einführung eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems“ zur täglichen Arbeitszeiterfassung. Für Kanzleien, die ins Jahr 2026 starten, stellt das Vertrauen auf die politische Absicht statt auf die aktuelle Rechtsprechung ein erhebliches Compliance-Risiko dar.

Das Paradoxon des angestellten Berufsträgers

Ein zentraler Reibungspunkt in der Kanzlei-Compliance bleibt der spezifische Status angestellter Rechtsanwälte. Während sie gesetzlich als unabhängige „Organe der Rechtspflege“ definiert sind, stuft sie das Arbeitsrecht eindeutig als Arbeitnehmer ein.

Dieser Doppelstatus schafft ein Compliance-Paradoxon, das in diesem Jahr besonders deutlich wurde:
* Berufliche Autonomie: Von Anwälten wird erwartet, ergebnisorientiert zu arbeiten – oft über den Acht-Stunden-Tag hinaus, um Mandantenfristen oder Gerichtstermine einzuhalten.
* Arbeitnehmerschutz: Das Arbeitszeitgesetz und die BAG-Rechtsprechung begrenzen Arbeitszeiten streng und verlangen Dokumentation, um Ausbeutung zu verhindern.

Branchenanalysen zeigen, dass viele Boutique- und mittelständische Kanzleien noch immer auf „billable hours“ als Stellvertreter für Arbeitszeit setzen. Compliance-Experten betonen jedoch, dass abrechenbare Stunden für die rechtliche Compliance nicht ausreichen. Sie erfassen nicht:
* Nicht abrechenbare Verwaltungsarbeit.
* Gesetzliche Pausen.
* Reisezeiten (die je nach Kontext als Arbeitszeit gelten können oder nicht).
* Akquise- und Geschäftsentwicklungsaktivitäten.

Ohne ein separates, konformes Zeiterfassungssystem riskieren Kanzleien Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz. Geschäftsführende Partner können so Bußgeldern und in schwerwiegenden Fällen systematischer Verstöße sogar strafrechtlicher Verantwortung ausgesetzt sein.

Digitalisierung als Treiber des Bürokratieabbaus

Während die rechtliche Verpflichtung weiter diskutiert wird, hat sich die operative Realität in deutschen Kanzleien 2025 deutlich verändert. Das zum 1. Januar 2025 in Kraft getretene Vierte Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) hat die Einführung digitaler Tools beschleunigt.

Obwohl BEG IV primär die Digitalisierung von Schriftformerfordernissen vorantrieb, signalisierte es einen breiteren Shift hin zu digitalen Verwaltungsprozessen. Im Bereich der Zeiterfassung führte dies zu einem starken Anstieg bei der Nutzung von Legal-Tech-Lösungen, die Arbeitszeiterfassung direkt in die Praxisverwaltungssoftware integrieren.

Führende Legal-Tech-Anbieter berichteten im vierten Quartal 2025, dass Kanzleien zunehmend „passive“ Tracking-Lösungen nachfragen. Diese Systeme protokollieren automatisch Aktivitäten (geöffnete Dokumente, gesendete E-Mails, geführte Telefonate), um Zeiteinträge vorzuschlagen, die der Anwalt dann nur noch bestätigen muss. Dieser Ansatz versucht, die Lücke zwischen der Notwendigkeit genauer Dokumentation und dem Wunsch nach minimalem Verwaltungsaufwand für fee-earner zu schließen.

Der Datenschutz bleibt jedoch eine Hürde. Betriebsräte in größeren Kanzleien waren 2025 aktiv und prüften diese automatisierten Systeme genau. Sie stellen sicher, dass diese nicht zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle missbraucht werden, die über die rechtlich geforderte Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeit hinausgeht.

Expertenblick: Keine „carte blanche“ für Anwälte in Sicht

Die Stimmung unter Rechtsberatern und Wirtschaftsprüfern ist zu Jahresende eine der „vorsichtigen Vorbereitung“. Die Erwartung, die Große Koalition werde die Erfassungspflicht für Spitzenverdiener schnell abschaffen, hat sich in die Erkenntnis verwandelt, dass EU-Recht enge Grenzen setzt.

Rechtsexperten wie Dr. Thomas Müller, ein Spezialist für arbeitsrechtliche Compliance, betonen in aktuellen Stellungnahmen:
„Die Hoffnung auf eine ‚carte blanche‘-Ausnahme für Rechtsanwälte schwindet. Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt, dass das Recht auf begrenzte Arbeitszeiten ein grundlegendes soziales Recht in der EU ist. Die Bundesregierung kann Flexibilität beim ‚Wie‘ der Erfassung bieten, aber wahrscheinlich nicht beim ‚Ob‘. Kanzleien, die 2026 ohne Erfassungssystem starten, setzen gegen das Haus.“

Auch das Haftungsrisiko entwickelt sich weiter. Während die Durchsetzung durch die Gewerbeaufsicht unmittelbar nach dem BAG-Urteil 2022 noch nachsichtig war, nahmen 2025 routinemäßige Kontrollen leicht zu – insbesondere als Reaktion auf Beschwerden von Mitarbeitern. Die Nutzung der „fehlenden Zeiterfassung“ als Hebel in Abfindungsverhandlungen durch verärgerte ehemalige Associates hat sich 2025 zu einem bemerkenswerten Trend in arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen entwickelt.

Handlungsempfehlungen für die ruhigen Tage

Für die Kanzleiführung bieten die stillen Tage zwischen den Jahren ein kritisches Zeitfenster, um interne Compliance-Richtlinien zu überprüfen. Die „Abwarte-Strategie“ bezüglich der angekündigten Gesetzgebung der neuen Regierung wird zunehmend riskant, je länger diese Übergangsphase andauert.

Wichtige Compliance-Checks für den Start ins Jahr 2026:
1. Abrechnung und Anwesenheit entkoppeln: Stellen Sie sicher, dass das System für die Mandantenabrechnung rechtlich konform mit den Anforderungen des Arbeitszeitgesetzes ist oder von diesem getrennt wird.
2. Vertrauensarbeitszeit-Verträge prüfen: Passen Sie Arbeitsverträge an, um klar zu stellen, dass „Vertrauensarbeitszeit“ „flexible Zeiteinteilung“ bedeutet – nicht „Befreiung von der Dokumentation“.
3. Betriebsvereinbarungen: Existiert ein Betriebsrat, muss eine Betriebsvereinbarung über die konkrete Methode der digitalen Erfassung geschlossen werden.
4. ​Partnerversicherung: Erinnern Sie die equity partner an ihre persönliche Haftung für die Compliance ihrer Teams.

Der deutsche Rechtsmarkt befindet sich im Übergang: weg von der Handschlagkultur des „Aufgabenerledigens um jeden Preis“ hin zu einer stärker regulierten, transparenten und digital dokumentierten Arbeitsumgebung. Der „obligatorische“ Charakter der Arbeitszeiterfassung ist kein theoretisches Debattierthema mehr – es ist eine operative Realität, die professionelles Management erfordert.

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