Der Liebesentzug der Amerikaner und die Bedrohung aus Russland zwingen Europa und Großbritannien zum Überdenken ihrer Beziehung.
19.05.2025 - 05:00:44Wie Brüssel und London wieder zueinanderfinden wollen
Beim ersten Gipfel zwischen Großbritannien und der EU seit dem Brexit wollen sich beide Seiten wieder ein Stück näherkommen. Es ist ein wichtiger symbolischer Akt. Der Krieg in der Ukraine und die Abwendung der US-Regierung unter Donald Trump lassen London und Brüssel kaum eine Wahl.
Was ist von dem Gipfel zu erwarten?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident António Costa und EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas und der mit Großbritannien befasste EU-Kommissar Maros Sefcovic sollen im prunkvollen Lancaster House in London empfangen werden.
Doch ob der Rahmen allzu feierlich ausfällt, gilt vor dem Hintergrund des Wahlerfolgs der Rechtspopulisten von Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage bei den Kommunalwahlen in England als fraglich. Eine allzu enthusiastische Wiederannäherung mit Brüssel könnte auch bei US-Präsident Donald Trump bitter aufstoßen, so die Sorge in London.
Trotzdem gab sich der britische Premierminister Keir Starmer wenige Tage vor dem Treffen optimistisch: «Ich bin zuversichtlich, dass wir wirklich große Fortschritte machen werden am Montag.»
Gibt es einen Verteidigungspakt?
Im Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit spielte das Thema Verteidigung keine Rolle. Damals war der Krieg in der Ukraine noch weit weg, die Briten wollten das Thema im Rahmen der Nato und bilateraler Beziehungen regeln. Doch seit Russlands großangelegtem Einmarsch in sein Nachbarland und der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus hat sich das geändert. Beide Seiten scheinen mehr denn je aufeinander angewiesen. «Großbritannien und die EU müssen in diesen geopolitisch schwierigen Zeiten zusammenhalten», sagte Kallas vor dem Treffen dem «Tagesspiegel».
Die EU plant, einen Fonds von 150 Milliarden Euro aufzulegen, aus dem Mitgliedstaaten Rüstungsprojekte finanzieren können. London will, dass die heimische Rüstungsindustrie dabei von Aufträgen profitiert. Ein Verteidigungs- und Sicherheitsabkommen soll den Weg dafür bahnen. Umsonst wird das für die Briten aber nicht werden, wie Experten warnten. Als denkbar gilt auch eine Teilnahme der Briten an EU-Missionen.
«Die Vereinbarung wird voraussichtlich regelmäßigere Dialoge über Außenpolitik, Verteidigung und Sicherheit ermöglichen», sagte Jannike Wachowiak von der Londoner Denkfabrik UK in a Changing Europe bei einem Pressegespräch. Dabei könnten auch Bereiche wie hybride Bedrohungen, Cybersicherheit und der Nahe Osten zum Thema werden.
How much is the fish?
Fischerei war schon während des Brexit-Referendums ein großes Thema - obwohl die Branche nur 0,4 Prozent der britischen Wirtschaftsleistung ausmacht. «Wir haben unseren Fisch zurück. Es sind jetzt britische Fische und dafür umso bessere und glücklichere Fische», jubilierte der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, nachdem die Quoten für EU-Fischer in den fischreichen britischen Gewässern durch den endgültigen EU-Austritt Anfang 2021 deutlich sinken sollten.
Doch auch die derzeit gültige Verteilung läuft im kommenden Jahr aus. Dann sollen die Quoten Jahr für Jahr neu ausgehandelt werden. Besonders Frankreich will, dass die bisherige Regelung weiter gelten soll. Dem Vernehmen nach dürfte sich Paris mit dieser Forderung durchgesetzt haben.
Dürfen EU-Bürger auf Visa-Erleichterungen hoffen?
Die Bundesregierung pocht schon lange auf ein Programm für junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, um in Großbritannien zumindest für begrenzte Zeit studieren und arbeiten zu können. Dem Austausch-Programm Erasmus für Studierende sind die Briten bislang aber nicht wieder beigetreten.
Den Vorstoß der EU-Kommission für ein Youth Mobility Scheme lehnte die inzwischen regierende Labour-Partei noch im April vergangenen Jahres brüsk ab. Man werde nicht zur Personenfreizügigkeit zurückkehren, durch die sich EU-Bürger ohne weiteres in Großbritannien niederlassen konnten, hieß es damals. Doch inzwischen zeichnet sich mehr Flexibilität ab, zumal es nur um einen sehr beschränkten Umfang gehen dürfte.
Was sind die roten Linien?
Die britische Regierung legt weiterhin äußersten Wert darauf, möglichst wenig Angriffsfläche für Farage und seine Partei Reform UK zu bieten, die in Umfragen inzwischen vor Labour und den Konservativen liegt. Sie betont daher stets, es werde auch keine Rückkehr in den Binnenmarkt oder die Zollunion geben - obwohl das den größten Schub für die Wirtschaft brächte.
Aufseiten Brüssels gibt es weiterhin die Sorge, Großbritannien könne durch «Rosinenpicken» Begehrlichkeiten bei anderen Partnern wecken, sich Privilegien zu verschaffen, ohne dafür Verpflichtungen einzugehen. Ohne Beiträge zum EU-Haushalt und Arbeitnehmerfreizügigkeit dürfen sich die Briten kaum Hoffnungen auf weitreichende Erleichterungen beim Marktzugang zur EU machen.
Welches No-Go dürfte fallen?
Erwartet wird, dass Starmer trotz aller Vorsicht ein paar heilige Kühe der Brexit-Puristen schlachten wird, etwa das Nein zur dynamischen Angleichung an EU-Regeln für Tier- und Pflanzenhygiene und die Ablehnung einer Rolle für den Europäischen Gerichtshof bei gemeinsamen Vereinbarungen. Das soll die Möglichkeit für ein Abkommen zur Lebensmittelsicherheit schaffen, das die durch den Brexit entstandene Bürokratie verringern und den Handel mit Lebensmitteln wieder erleichtern soll.
Wo ist noch engere Zusammenarbeit zu erwarten?
Ebenfalls Annäherungen dürfte es bei den Themen Energie und Emissionshandel geben. Grundsätzlich besteht auf EU-Seite auch die Hoffnung, dass bei dem Treffen erst einmal Grundlagen geschaffen werden, um die Zusammenarbeit in Zukunft dann deutlich zu vertiefen.